Einleitung
Starke Kinder, starke Welt! Da sind wir uns alle einig. Aber leider ist die Situation von Kindern in Deutschland oftmals prekär. Egal, ob Gewalterlebnisse an Schulen, mangelnde Aufklärung von Eltern über Gewalt gegen Kinder und die Grenzen der Erziehung, Entwürdigung von Kindern vor Gericht, Kinderarmut, schlechte Repräsentation von Kindern in der Politik, Unzureichende Aufklärung von Lehrkräften über Kindesschutz, struktureller Rassismus, Sexismus und Ableismus, der viele Kinder trifft, teilweise unzureichende Umsetzung der Kinderrechte: in allen Lebensbereichen von Kindern fehlt es an Grundsätzlichem. Kinder gehören zu den vulnerabelsten Gruppen unserer Gesellschaft und deshalb ist es unsere Aufgabe sie zu schützen und sie an demokratischen Prozessen teilhaben zu lassen. Um Kinderschutz und Kinderrechte in Deutschland zu stärken und auszubauen, haben wir Forderungen aufgestellt, die sich an fünf Säulen orientieren. Der Kampf gegen Kinderarmut muss geführt werden, um allen Kindern ein würdiges Leben zu ermöglichen und finanzielle Ungleichheit nicht bereits im Kindesalter zu manifestieren. Die Beteiligung von Kindern muss vorangebracht werden, um die mehr als 13 Millionen Kinder in Deutschland an demokratischen Prozessen zu beteiligen und sie endlich als einen gleichwertigen Teil unserer Gesellschaft anzuerkennen. Bildung und Aufklärung über Kinderrechte und Kinderschutz sind unerlässlich, um Kinder zu stärken und um Schulen zu Schutzräumen zu machen. Auch das Justizsystem muss sich Kindern und ihren Bedürfnissen anpassen und einen Kindesschutz im Netz konsequent durchsetzen. Erst, wenn wir uns mehr für Kinder einsetzen, können wir irgendwann sagen: Starke Kinder, starke Welt!
Beteiligung
Die UN-Kinderrechtskonvention trat am 2. September 1990 in Kraft und spricht allen Kindern auf der Welt dieselben Rechte zu. Unabhängig von Herkunft, Sprache, Hautfarbe und Geschlecht haben Kinder das Recht auf Nichtdiskriminierung, das Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung, die Einhaltung der Kindesinteressen sowie das Recht auf Beteiligung. Bereits in vielen Städten und Gemeinden in Niedersachsen und dem gesamten Bundesgebiet können wir viele Kinderparlamente und -beiräte bei ihrer erfolgreichen Arbeit sehen. Allerdings ist die Einführung von den Kinderparlamenten/- beiräten noch lange kein Standard in unseren Kommunen. Doch für die Kinder bietet die Möglichkeit sich für die eigenen Interessen und die ihrer Freund*innen stark zu machen, viele Chancen. Sie lernen durch Partizipation an politischen Projekten, für hre eigene Meinung einzustehen, ihr Selbstvertrauen wird gestärkt und die Eigenständigkeit gefördert. Diese Eigenschaften sind existentiell für Kinder, um ihre Meinung in Konfliktsituationen zu äußern und sind somit ein wichtiger Bestandteil im Bereich des Kinderschutzes. Daher müssen wir uns für einen Ausbau von Kinderparlamenten/-beiräten stark machen. Die Einrichtung eines solchen Gremiums muss immer mit einem eigenen Budget verbunden sein. Nur so können die Kinder ernsthaft Ideen entwickeln und später umsetzen. Dafür bedarf es ebenfalls eine professionelle und eine geschulte Begleitung durch Erwachsene. Kinder müssen in den Prozessen von Erwachsenen begleitet, aber nicht kontrolliert werden. Daher bedarf es einer aktiven Jugendarbeit in den Kommunen, welche vom Bund und Land finanziell unterstützt werden muss.
Doch wir sehen nicht nur die Kommunen in der Verantwortung, Kinder stärker in das politische Handeln einzubeziehen. Sowohl auf Bundes-, als auch auf Landesebene soll ein Kinderparlament eingerichtet werden, damit die Kinder auch auf höherer politischer Ebene Gehör finden und ihre Interessen und Ideen umsetzen können. Um dem Kinderparlament auch hier Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, müssen die Kinderparlmente ein reguliertes Antragsrecht für den Bundestag und den Landtag erhalten. Dadurch wird eine professionelle und geschulte Betreuung unabdingbar.
Daher fordern wir:
- Die Stärkung von Kinder- und Jugendparlamenten in den Kommunen und damit einhergehend auch eine stärkere finanzielle Ausstattung sowie eine professionelle und geschulte Betreuung. Vor allem ist eine Förderung von FINTA*, BIPoC und Schüler*innen aller Schulformen zu gewährleisten. Es muss darauf geachtet werden, dass sozioökonomisch benachteiligte Kinder und Jugendliche gleichermaßen eingebunden werden.
- Eine Einrichtung eines Kinder- und Jugendparlaments auf Landes- und Bundesebene mit einem regulierten Antragsrecht sowie professioneller und geschulter Betreuung.
Aufklärung und Schulsystem
Im Schulsystem ist noch großer Handlungsbedarf im Umgang mit Gewalt gegen Kinder. So muss beispielsweise die genaue Bedeutung des Begriffes „Gewalt“ für die Akteur*innen
an den Schulen durch Fortbildungen und Workshops zugänglich gemacht werden. Zur Gewalt gehört nämlich neben körperlicher Gewalt auch psychische Gewalt (z.B. unter Druck setzen, Herbeiführen von Schuldgefühlen) und Vernachlässigung (z.B. kein Bereitstellen von Essen, nachlässige Beaufsichtigung, kein Wahrnehmen von Arztterminen). Etwa 60% der Fälle von Kindesmisshandlung liegt Vernachlässigung zu Grunde. Dementsprechend benötigen Lehrkräfte und die multiprofessionellen Teams regelmäßige Fortbildungen zum Thema Kindesschutz, die neben dem Wahrnehmen von Warnsignalen auch den Umgang mit der Situation behandeln. Dabei sollte das Kind ebenfalls im Zentrum stehen, da Kinder in der Schule altersgerecht und über die Grenze zwischen Erziehung und Gewalt aufgeklärt werden müssen.
Außerdem werden durch Schulpastor*innen andere Religionen und Atheist*innen ausgeschlossen und diskriminiert. Deswegen fordern wir, dass Schulpastor*innen keine Lösung für die Schule darstellen und es multiprofessionelle Teams für alle Schüler*innen geben muss. Dadurch können die individuellen Bedürfnisse und Anforderungen der Schüler*innen viel mehr berücksichtigt und stärker gefördert werden.
Es braucht eine ständige Reflexion und Kinderschutzkonzepte müssen regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, um den aktuellen Herausforderungen und Ansprüchen gerecht zu werden. Die Konzepte dürfen nicht in der Schublade verschwinden! Gerade Corona hat gezeigt, dass wir hier einen erhöhten Bedarf haben und dass wir dem schnell Rechnung tragen müssen. Schließlich wollen wir kein Kind alleine lassen und im Sinne der Chancengerechtigkeit muss hier endlich mehr passieren! Es braucht mehr Anlaufstellen, Aufklärungskampagnen und Angebote, um Gewalt gegenüber Kindern vorzubeugen.
Deshalb fordern wir:
- eine differenzierte Betrachtung von Gewalt gegen Kindern, um körperliche Gewalt, psychische Gewalt und Vernachlässigung zu identifizieren und pädagogisch angemessen damit umzugehen.
- mehr Fortbildungen für Lehrkräfte und die multiprofessionellen Teams zum Thema Kindesschutz, die neben dem Wahrnehmen von Warnsignalen auch den Umgang mit der Situation behandeln.
- ständige Reflexion und Kinderschutzkonzepte, die den aktuellen Herausforderungen und Ansprüchen gerecht werden.
- mehr Anlaufstellen, Aufklärungskampagnen und Angebote, um Gewalt gegenüber Kindern vorzubeugen
Kinderarmut
Mehr als jedes fünfte Kind und jede*r vierte junge Erwachsene gilt in Deutschland als armutsgefährdet. Alleinerziehende sowie Familien mit drei und mehr Kindern sind besonders betroffen. Im Jahr 2021 waren es rund 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche sowie 1,55 Millionen junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren. Diese Zahlen machen sehr deutlich, dass nach wie vor eindeutig zu viele Menschen in Deutschland, besonders aber Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene von Armut betroffen oder bedroht sind. Wir müssen anerkennen, dass die Menschen, die aus armutsbetroffenen Familien stammen, statistisch ein höheres Risiko haben, selbst von Armut betroffen zu sein. Dieser problematische Zustand muss durch entschiedenes und solidarisches Handeln aufgebrochen werden. Gleichzeitig können wir nicht hinnehmen, dass die Vermögensungleichheit auch heute immer weiter zunimmt und die Menschen mit hohen Vermögen gerade in Zeiten der Krise profitieren, während die Menschen mit niedrigem Einkommen und keinem Vermögen noch ärmer werden. Das aktuell weiter steigende Risiko, von Armut betroffen zu sein, muss endlich reduziert werden.
Deshalb fordern wir:
- die Einführung einer Kindergrundsicherung, die Kindergeld, Kinderzuschlag, Sozialgeld und Steuerfreibeträge bündelt. Diese Kindergrundsicherung muss allen Kindern und Jugendlichen bis zum Ende des 18. Lebensjahres das sächliche Existenzminimum garantieren. Bei Auszubildenden soll diese Grundsicherung bis zum 25. Lebensjahr und bei Studierenden bis zum 27. Lebensjahr gezahlt werden. Die Kosten, die durch die Kindergrundsicherung zusätzlich entstehen, sollen keine Mehrbelastung für die Menschen bedeuten, die schon heute wenig haben, sondern sollen solidarisch von denjenigen getragen werden, die hohe Vermögen besitzen. Das soll beispielsweise durch die Wiedereinführung einer modernen Vermögenssteuer, eine Anhebung der Erbschaftssteuer, die Einführung einer Börsenumsatzsteuer oder die Einführung eines „Kinder-Solis” ermöglicht werden.
- die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, um die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Lebensstandards der Kinder zu unterstreichen.
- die finanzielle Förderung und Unterstützung von Kinderhäusern, in denen Kinder in Ruhe ihre Hausaufgaben erledigen, Probleme mit pädagogischem Fachpersonal besprechen, Nachhilfe erhalten, gemeinsam kochen oder anderen Aktivitäten nachgehen können. Hier sollen noch mehr Räume geschaffen werden, um ein gutes soziales Umfeld und Miteinander für von Armut betroffene Kinder zu schaffen.
- die Einführung einer Expert*innenkommission, die unter Einbeziehung von Wissenschaftler*innen, Vertreter*innen von Sozial- und Wirtschaftsverbänden sowie Gewerkschaften und Betroffenenorganisationen, die Frage nach der Neuberechnung des Existenzminimums für die Zukunft klärt und alle entscheidenden Faktoren, die gerade die Perspektive der Kinder einbezieht, berücksichtigt.
Justiz
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie gehören einer sehr vulnerablen Gruppe an, darum ist ein sensibler Umgang mit Kindern von äußerster Relevanz. Kinder, die als Zeug*innen vor Gericht aussagen müssen, haben zuvor häufig Traumata erfahren. Dadurch erfordert der Umgang mit ihnen noch zusätzliche Einfühlsamkeit. Aktuell gibt es für Familien- und Jugendrichter*innen – die meistens die Zeug*innenvernehmung bei Kindern durchführen – keine verpflichtenden Fortbildungen zum Umgang mit traumatisierten Kindern. Dies führt teilweise zu einem falschen Umgang mit diesen, da Richter*innen eine juristische und keine pädagogische Ausbildung bekommen (unabhängig von dem Bereich, in dem sie arbeiten). Dadurch können zusätzliche psychische Belastungen für die Kinder entstehen.
Kinder, die Gewalterfahrungen machen, benötigen eine psychologische Behandlung, um die Geschehnisse aufzuarbeiten. Derzeit dürfen Kinder, die sich im Zeug*innenstand befinden, während des laufenden Gerichtsverfahrens, eine solche Behandlung nicht in Anspruch nehmen. Grund hierfür ist der Irrglaube, die Erinnerungen der Kinder würden durch eine Psychotherapie verfälscht und eine Verurteilung der Täter*innen würde dadurch schwieriger. Für die betroffenen Kinder hat dieses Verbot massive psychische Folgen – gerade in Anbetracht der langen Dauer von Gerichtsverfahren. Obwohl Verfahren, an denen Kinder beteiligt sind, mit höherer Priorität behandelt werden, können bis zur Verurteilung der Täter*innen Jahre vergehen – Jahre, in denen Kindern psychologische Betreuung verwehrt wird. Nach aktuellem Wissensstand kann die Theorie, Kinder würden durch psychologische Behandlung ihre Erinnerungen verändern, nicht bestätigt werden, die Erinnerungen werden lediglich in den Kontext gesetzt. Dass sie trotzdem keine Hilfe durch Psychotherapie erfahren dürfen, ist nicht nur unmenschlich und grausam, es verstößt auch gegen Art. 24 der UN-Kinderrechtskonvention. Damit das Leid traumatisierter Kinder durch einen Gerichtsprozess nicht zusätzlich verlängert wird, muss ihnen der Zugang zu einer professionellen psychischen Behandlung erlaubt werden.
Wenn Kinder in einem Gerichtsverfahren involviert sind, muss sich das Verfahren dem Kind anpassen, nicht umgekehrt! Hierzu sind verschiedene Maßnahmen erforderlich, wie z.B. die Zeug*innenvernehmung des Kindes in altersgerecht ausgestatteten Räumen außerhalb des Gerichtgebäudes. Zur altersgemäßen Ausstattung zählen, neben der Gestaltung des Raumes und der Anpassung der Tisch- und Stuhlhöhe, auch die Platzierung der Gutachter*innen im Raum. Eine Retraumatisierung des Kindes durch Anwesenheit der Täter*innen muss – sofern möglich – vermieden werden. Darüber hinaus müssen Kinder altersgerecht über den Inhalt und den Prozess des Gerichtsverfahrens informiert werden, damit sie verstehen, was passiert und warum es passiert.
Daher fordern wir:
- dass Familien- und Jugendrichter*innen regelmäßige Schulungen zur Befragung von Kindern und Jugendlichen im Zeug*innenstand erhalten, um einen altersgemäßen Umgang mit ihnen zu ermöglichen.
- Kindern soll im Zeug*innenstand eine psychologische Behandlung während des laufenden Gerichtsverfahrens ermöglicht werden.
- im Rahmen einer kindersensiblen Justiz sollen altersgerechte Räume außerhalb des Gerichtsgebäudes zur Zeug*innenbefragung von Kindern genutzt werden.
- eine altersgerechte Aufklärung über das Gerichtsverfahren für Kinder.
- prinzipiell ist der Grundsatz “Hilfe statt Strafe” zu wahren.
Kindesschutz im Netz
Auch im Netz bedürfen Kinder besonderem Schutz. Kinder, mindestens bis zum 14. Lebensjahr, können das Gewicht dieser Entscheidung, sich in den öffentlichen sozialen Medien zu zeigen, nicht alleine erkennen, da eine neutrale Aufklärung durch die Erziehungsberechtigten nicht erfolgt. Wenn also der Fall auftritt, dass die Erziehungsberechtigten Personen ihr z.B. ein Jahr altes Kind in den sozialen Medien präsentieren wollen, ist die Entscheidung alleine den Erziehungsberechtigten überlassen und diese haben damit das Recht, über die Privatsphäre des Kindes zu entscheiden. Dies kann auf das spätere Leben des Kindes einen sehr großen Einfluss haben, welcher in vielen Fällen eher negativ erfolgt. Zum Beispiel kann es passieren, dass das Kind schon in jungen Jahren sehr berühmt wird und damit auch schon entschieden ist, dass es später kein privates Leben führen kann. Des Weiteren hat das Zeigen des Kindes nur einen Zweck für die Erziehungsberechtigten und keinen für das Kind selbst (und ab dem Moment, wo damit Geld verdient wird, kann man dies auch als Kinderarbeit abstufen.) Außerdem reicht auch die Zustimmung des Kindes nicht (mindestens bis zum Alter von 14 Jahren), da die Meinung sehr einfach beeinflusst werden kann und somit auch die die Entscheidung des Kindes nicht zählen sollte. Ein weiterer Grund gegen das Zeigen von Kindern im Internet ist, dass viele Inhalte, wenn auch unbeabsichtigt von den Eltern, sexualisiert werden und von User*innen angesehen werden, die diese Videos dann auf eine unangemessene Art und Weise anschauen. Ungefähr dasselbe Prinzip besteht auch bei dem Punkt der Kinderwerbeagenturen. Denn auch hier können Kinder nicht einschätzen, was es bedeutet, in dieser Art von sozialen Medien präsent zu sein. Die Entscheidungen, beeinflusst von den Erziehungsberechtigten, kann noch Jahre später bereut werden, doch in diesem Moment wäre es zu spät, da alles, was einmal in die Medien gelangt ist, nie wieder verschwindet.
Wir fordern:
- Kinder müssen vor ungewollter medialer Aufmerksamkeit beschützt werden.
- Kinder unter 14 Jahren dürfen nicht erkennbar in sozialen Medien gezeigt werden
und ebenso nicht der Hauptinhalt des Medieninhalts sein, auch wenn dies dem Willen der Erziehungsberechtigten entspricht. - Kinderwerbeagenturen sind zu verbieten.
- Eine altersgerechte Aufklärung über das Gerichtsverfahren für Kinder. Prinzipiell ist der Grundsatz “Hilfe statt Strafe” zu wahren.