Ge-07 Keine halben Sachen - Ein echter Neustart für die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft!

Status:
Überweisung
  • Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), sowohl in seiner aktuellen Form als auch im jüngsten Referent*innenentwurf vom 6. Juni 2023, verfehlt seinen Zweck und belastet Menschen in der Wissenschaft unangemessen. Es bedarf einer umfassenden und sinnvollen Reform. 
  • Darüber hinaus ist die Reform des universitären Systems in verschiedenen Bereichen unumgänglich. 
  • Die Forderungen des Dresdner Gesetzesentwurfs „Dauerstellen für Daueraufgaben“ von September 2022, vorgelegt von der GEW, sind als Verhandlungsziel zu übernehmen. Die Unterstützung dieser Forderungen und Reformvorschläge wird beschlossen. 
  • Faire Verträge, bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
  • Verbesserung der Arbeitsplatzsicherheit für Forscher*innen und insbesondere den wissenschaftlichen Nachwuchs durch vermehrte unbefristete Arbeitsverträge. Eine Reform oder Abschaffung des WissZeitVG ist notwendig, um langfristige Perspektiven nach der Promotion zu schaffen.
  • Etablierung klarer, transparenter Karrierewege für Wissenschaftler*innen, inklusive des Tenure-Track-Modells.
  • Kritische Überprüfung der Finanzierung deutscher Hochschulen und Änderung der Drittmittelvergabepraxis, um angemessene Arbeitsbedingungen und Forschungsausstattung zu gewährleisten. Eine gerechtere Verteilung von Forschungsmitteln und Ausweitung der Grundfinanzierung sind erforderlich. Die Überarbeitung sollte eine transparentere Wissenschaftsfinanzierung beinhalten und Bund-Länder-Förderbedingungen angleichen.
  • Parallel zur WissZeitVG-Reform soll die sachgrundlose Befristung im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBFG) gestrichen werden.
  • Solidarisierung mit der bundesweiten TVStud-Bewegung und Basisgruppen an Hochschulen und Anschluss an ihre Forderungen.
  • Zugang zum universitären System darf nicht diskriminierend sein und muss regelmäßig überprüft werden. Förderung interdisziplinärer Forschung, verbesserte Zusammenarbeit zwischen Fachbereichen, Ausbau internationaler Kooperationen und Beteiligung von Zivilgesellschaft und Gewerkschaften an der Wissenschaftspolitik ist angestrebt. 
      Begründung:

      Am 17. März 2023 legte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das erste Eckpunktepapier zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WisszeitVG) vor und musste es kurz darauf als Reaktion auf angebrachte Kritik wieder zurück nehmen/ziehen. Am 6. Juni 2023 folgte der zweite und aktuelle Referent*innenentwurf, der nun den Stakeholdern zur Stellungnahme im Rahmen der Verbände- und Länderbeteiligung vorliegt. Bei aller Anerkennung der Verbesserungen des Eckpunktepapiers um ein paar der durch die Stakeholder vermehrt eingeforderten Punkte, verbleibt weiterhin Raum für Kritik. Der Reformvorschlag ist in einigen Inhalten noch nicht konsequent genug für das Ziel der Entfristung ausgearbeitet. Hier muss abermals nachgesteuert werden. Ferner besteht im wissenschaftlichen System Reformbedarf über das WissZeitVG hinaus, welche flankierend angegangen werden müssen.

      Das WissZeitVG erlaubt seit 2007 und seit der ersten Reform 2016 die Befristung von Arbeitsverträgen im wissenschaftlichen Bereich (v.a. im sogenannten Mittelbau). Sollte das Gesetz dafür sorgen, dass Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ihren Wissenschaftsbetrieb flexibilisieren können, führt es in der Praxis vor allem zu einer prekären Beschäftigungssituation für viele Wissenschaftler*innen. Die damit einhergehende fehlende Planbarkeit der Karriere und die Unsicherheit über die Zukunft nach dem Ende des befristeten Vertrags sind höchst problematisch. Des Weiteren ist die Entlohnung von wissenschaftlichem Personal oft nicht angemessen und die Abhängigkeit von Drittmitteleinwerbungen erschwert den Forschungsalltag enorm.  

      Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert bereits seit Jahren die Reform des WissZeitVG. Sie fordern u.a., dass wissenschaftliches Personal nach einer maximalen Befristungsdauer von sechs Jahren verpflichtend übernommen werden muss – in eine unbefristete Beschäftigung. Die Entlohnung und Planbarkeit der Karriere sollen verbessert und die Mitbestimmung von Personalvertretungen gestärkt werden. 

      Unter dem #Dauerstellen für Daueraufgaben unterstreicht die GEW jene Forderungen nochmal deutlich. Auch im Jahr 2020 gewann die Kampagne #ichbinhanna öffentliche Aufmerksamkeit. Die Kampagne wurde von einer Gruppe von Nachwuchswissenschaftler*innen ins Leben gerufen, die sich für eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes einsetzen. Unter dem Hashtag teilen viele Betroffene ihre persönlichen -oftmals negativen- Erfahrungen mit Befristungsketten im Wissenschaftsbetrieb. Wir  solidarisieren uns mit #ichbinhanna bereits durch Beschlussfassung auf dem Bundeskongress 2021. 

      Beim ersten Eckpunktepapier zur angekündigten Reform des WissZeitVG musste man von einer Verschlimmbesserung sprechen. Unter anderem vorgesehen war eine Befristung der Verträge für Doktorand*innen auf sechs Jahre und Verträge von Postdocs auf drei Jahre zu begrenzen.  Im zweiten vorgelegten Entwurf wird klar, dass im Grundsatz bei uns, den Stakeholdern und dem Ministerium die gleiche Problemanalyse vorliegt. Es besteht die generelle Anerkennung, dass die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft prekär sind und hier Änderung stattfinden muss. Die entscheidende Frage ist nun aber, wie gut die Lösungen im aktuellen Entwurf wirken können und wo noch nachgesteuert werden muss.  Insbesondere negativ anzumerken ist, dass das Ministerium ausdrücklich kommunizierte, die Befristungsmöglichkeit durch das WissZeitVG bleibe im Grundsatz unberührt. Man hält also ausdrücklich an dem -von uns und vielen Gewerkschafter*innen sowie Hochschulverbänden stark kritisierten- Flexibilisierungsgedanken, ob gleicher Problemanalyse, fest. Dies erscheint unverständlich. 

      Bereits am 19. März, also zwei Tage nach Veröffentlichung des ersten Referent*innenentwurfs, sprachen sich ca. 500 Professor*innen (#ProfsfürHanna) öffentlich gegen den ersten vorgelegten Vorschlag aus und machten sich stark für den Mittelbau an wissenschaftlichen und künstlerischen Hochschulen. Bis heute haben sich diesem Protest knapp 3.000 Professor*innen angeschlossen. Der Entwurf wurde als Reaktion auf den berechtigten Widerstand der wissenschaftliche Stakeholder umgehend vom BMBF zurückgezogen. Zwar die folgerichtige Handlung und dennoch eine Peinlichkeit, wenn man bedenkt, dass Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger am Anfang des Prozesses noch sagte, man wolle sich Zeit lassen, alle Stakeholder mitnehmen und die Reform richtig angehen. Das war wohl nix!  

      Seit dem 14. Juni läuft nur der Beteiligungsprozess für den aktuellen Entwurf und es haben sich bereits kritische Stimmen zurückgemeldet, die weiterhin Verbesserungspotenzial und -bedarf sehen. Weiterhin muss festgehalten werden:  

      Das WissZeitVG – sowohl in der aktuellen Form als auch in der Form, wie es der jüngst veröffentlichte Referent*innenentwurf vom 6. Juni 2023 vorsieht – verfehlt nicht nur seinen Zweck, sondern sorgt auch für unangebrachte Belastungen für Menschen in der Wissenschaft. Es gehört weitergehend reformiert, aber richtig! 

      Und mehr noch, denn man kann die durch das WissZeitVG entstandenen Probleme an deutschen Hochschulen und für Nachwuchswissenschaftler*innen nicht isoliert betrachten. Die reine Reform des WissZeitVG ist am Ende nur Augenwischerei, wenn man nicht auch tiefer liegende Fragestellungen zur Zukunft des Wissenschaftssystems angeht. Das universitäre System gehört in vielen Teilen grundlegend reformiert. 

      Es geht nicht nur um die Anzahl der Jahre, die man in als sogenannter Postdoc (also nach Abschluss der Doktorarbeit) zeitlich zur Verfügung hat, um sich wissenschaftlich zu qualifizieren und zu arbeiten, sondern auch um die Schaffung einer vernünftigen Finanzierung von Hochschulen und Universitäten. Es geht um die Schaffung einer anderen Art der Struktur für das Lehrpersonal und um eine angemessene Ausbildungsqualität im Studium. Es geht um generelle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen hin zu einem Klima ohne Leistungsdruck, Unsicherheit – mit genügend Ressourcenverfügbarkeit.   

      Wollen wir ein Wissenschaftssystem schaffen, dass Studierende (egal welcher intersektionalen Attribute) dazu motiviert, sich für eine akademische Karriere zu entscheiden? Und wollen wir unseren Wissenschaftsnachwuchs nicht automatisch an ausländische Unis verlieren, weil ihnen dort mehr Ressourcen für Forschung, Ausbildung und Karriere zur Verfügung stehen?  Dann müssen wir aufhören, dem unreformierten Wissenschaftssystem in Deutschland beim Niedergang zuzuschauen! Wir müssen übergreifende Probleme adressieren: Nicht nur das WissZeitVG ist schlecht; unsere Universitäten sind unterfinanziert und nicht mehr zeitgemäß ausgestattet. 

      Universitäten und Hochschulen sind nicht nur Orte der Wissenschaft und Forschung, sondern insbesondere die Orte der Lehre. Wir müssen es endlich wieder schaffen, dass die Lehre für alle dargestellt werden kann und zufriedenstellend ist. Doch die Lehre kann nicht gut sein, wenn das Personal selbst nicht die Zeit zur Ausbildung erhält, wenn sie unter Leistungsdruck und Befristungen leiden. Ressourcen müssen nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Lehre zur Verfügung stehen und angemessen über Bund und Länder (mehr als über Drittmittel) finanziert werden. Dauerstellen sind für gute Lehre und Forschung unabdingbar. Nur, wer an unseren Universitäten gut ausgebildet wurde, Zeit hatte, sich weiter zu qualifizieren und später Zeit, Ressourcen und Sicherheit im universitären Job hat, kann auch gute Forschung betreiben.  

      Gute Wissenschaft ist für uns alle essentiell und muss ermöglicht werden 

      Universitäten sind Orte, an denen transformative Prozesse stattfinden können, wo Impulse gesellschaftlicher Entwicklungen gesetzt werden können – und das insbesondere durch die Studierenden und Mitarbeitenden im Mittelbau, die gegen ggf. eingefahren professorale Vorlieben aufbegehren. Hochschulen sind Orte der kritischen Reflexion und Gestaltung von gesellschaftlichen Entwicklungen. In der Wissenschaft werden Errungenschaften hervorgebracht, die uns alle innovativ und essentiell helfen. Beispiele hierfür sind die Grundlagenforschung für die (kürzliche) Entwicklung des Corona-Impfstoffs, aber auch die Idee zum World Wide Web im Jahre 1989. Wir brauchen funktionale Forschung auch im Blick auf die voranschreitende Klimakatastrophe und deren angestrebte Überwindung. Wer hier spart und in Bezug auf die Arbeitsbedingungen wegschaut, handelt fahrlässig für alle Menschen und nicht nur für eine Lobby – wenn es eine solche für die Wissenschaft überhaupt gäbe. 

      Die Wissenschaft sollte den starken Rücken einer funktionalen Gesellschaft darstellen. Wissenschaft arbeitet faktenbezogen, kritisiert sich selbst am stärksten und bildet die Wissensgrundlage aus, auf die letztlich alle Teilhabenden der Gesellschaft zurückgreifen. Viele später wirtschaftlich relevanten Erfindungen greifen auf Grundlagenforschung zurück, die an den wissenschaftlichen Institutionen über Jahre und Jahrzehnte intensiver und vorsichtiger Forschung hervorgebracht wurden. Politik trifft Entscheidungen auf der Grundlage von Expert*innenempfehlungen, die wissenschaftlich tätig sind. Eine starke Demokratie kann nicht ohne eine gute und unabhängige, faktenbasierte Wissenschaft funktionieren oder argumentieren. Das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen. Und dennoch gibt es in Deutschland viele Probleme, die weitreichende Folgen haben. Nicht nur die Menschen im wissenschaftlichen System selbst, sondern auch die Zukunftsfähigkeit und die Qualität der Arbeit des deutschen Hochschulstandortes sind gefährdet. 

      Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler*innen 

      Die Idee des WissZeitVG ist es, neben einer sog. Flexibilisierung, dass man Menschen nach einer Höchstbefristung in eine Dauerstelle überführt und so letztendlich in ein unbefristetes Anstellungsverhältnis bringt. Es versucht Anreize zu setzen, mehr universitäre Dauerstellen zu schaffen – doch dieses Kalkül geht seit 2007 nicht auf. Dauerstellen im Mittelbau existieren schlichtweg nicht: Fast 90 % des Personals an Unis und Hochschulen sind im Jahr 2011 befristet beschäftigt (ohne Professor*innen), dabei hat fast die Hälfte der Arbeitsverträge an Forschungseinrichtungen eine Laufzeit von weniger als einem Jahr. Bei aktuellen Zahlen besteht kaum Verbesserung. Unsachgemäße Kurz- und Kettenbefristungen scheinen durch das WissZeitVG nur befeuert worden sein und das Anstellungsverhältnis bleibt prekär: Auch viele Jahre nach Abschluss der Promotion ist die wissenschaftliche Karriere nicht planbar und folglich gehen viele exzellente Forscher*innen verloren: Weil sie sich das unsichere Arbeitsverhältnis nicht leisten können, weil ihr finanzieller und ggf. familiärer Hintergrund dies nicht zulässt, weil sie eine Familienplanung nicht im wissenschaftlichen System unterbringen können, weil sie unter dem projektgebundenen Leistungsdruck leiden. So wird klar, dass unwillkürlich bestimmte Personengruppen stärker aus dem akademischen System ausgeschlossen werden. Diversität fördert man so nicht. Das Gesetz vertreibt Nachwuchs aus der Wissenschaft, der diese Zustände bereits im Studium beobachtet und dann gesicherte Karriere- und Arbeitschancen im Außeruniversitären sieht. Es handelt sich – wie viele Expert*innen formulieren- um ein BeschäftigungsVerdrängungsGesetz. Es gehört weitgehend reformiert oder komplett abgeschafft! 

      Vielen Wissenschaftler*innen wird nur eine befristete Beschäftigung angeboten, was zu unsicherer Arbeitsplatzsicherheit führt.  Diese Unsicherheit und Unvereinbarkeit mit der Familienplanung wirkt sich dabei besonders auf Frauen und ihre Teilhabe an einer wissenschaftlichen Karriere  negativ aus, da Sorgearbeit leider immer noch mehrheitlich von Frauen geleistet wird. Dabei ist es in unser aller Interesse, den somit indirekten Ausschluss bestimmter Personengruppen -wie FINTAs*- zu bekämpfen. Die akademische Karriere muss so gestaltet werden, dass auch Frauen und andere marginalisierte Gruppen den Zugang finden können. Hürden in dieser Hinsicht müssen angebaut werden. Eine unsichere Beschäftigung verdrängt dabei aber nicht nur bestimmte -weniger privilegiert- Personengruppen aus der Wissenschaft, sondern erzeugt für Wissenschaftler*innen auch einen übermäßigen Leistungsdruck. Sie sehen sich unter dem Zwang in möglichst kurzer Zeit, die bestimmt ist durch die Vertragsbefristung, möglichst viel (und durchschlagskräftig) zu publizieren. Dabei brauchen Erkenntnisse Zeit. Niemand denkt besser oder schneller oder innovativer, wenn man ihm nur mehr Druck aussetzt. Hinzu kommt, dass Wissenschaftler*innen häufig mehr mit dem Einwerben von Geldern beschäftigt sind als mit der tatsächlichen Forschung und Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchs. Gebunden an und angewiesen auf Drittmittelprojekte und deren Gelder sehen sich viele Wissenschaftler*innen allerdings gezwungen, genau das zu versuchen. Dabei bleibt aber der Anspruch nach größtmöglicher Qualität der wissenschaftlichen Arbeit gleich. Keine Publikation wird sich durchsetzen, dessen Methodik den sogenannten peer review nicht besteht. Und dennoch sind viele nun dazu übergegangen, kleinere Fragestellungen oder einfachere Methoden zu publizieren, schlichtweg, da die Zeit zu tiefgehender Analyse nicht ausreicht. Keine Ergebnisse in befristeter Zeit kann den Verlust von Drittmittelfinanzierten bedeuten und letztlich den Verlust des Arbeitsplatzes. Dieser Druck geht an niemandem spurlos vorbei.  Aufgrund des hohen Arbeitspensums und des Leistungsdrucks bleibt für den Privatbereich oft keine Zeit. Betroffene beklagen eine mangelnde Work-Life-Balance; die mentale Gesundheit vieler ist gefährdet. Gerade für Frauen spitzen sich diese Belastungen häufig zu, da wir zwar

      Insbesondere die Befristungen in der Postdoc-Phase sind problematisch. Es muss anerkannt werden, dass die wissenschaftliche Arbeit und Qualifikation nach der Promotion Zeit bedarf. Es bedarf Zeit, um zu publizieren, Lehre zu betreiben und hier Erfahrungen zu sammeln und an der hochschulischen Selbstverwaltung teilzuhaben. Und nicht jede Person strebt eine Berufung bzw. das Innehaben eines eigenen Lehrstuhls an und muss dennoch an den Unis und Hochschulen eine sichere Anstellung finden können. Statt die Beschäftigung zu blockieren, muss Zeit für die Wissenschaft und die wissenschaftliche Arbeit geschaffen werden. Bund und Länder müssen hierfür genügend Mittel bereitstellen, sodass Dauerstellen geschaffen werden können.

      Ein starker Mittelbau, der problemorientiert und reflektiv forscht, muss geschaffen werden. Dazu muss überwunden werden, dass der Mittelbau aktuell im Rahmen der Drittmittelforschung stumpf seinen Vorgesetzten zuarbeitet und unter den Regelungen des WissZeitVG leidet. Ein gestresster Mittelbau und eine Studierendenschaft, die von einer akademischen Karriere abgeschreckt wird, können nicht unser Ziel sein und entsprechen nicht unserer Vorstellung von einer Wissenschaft, die sich den gesellschaftlichen Komplexitäten stellt.

      Wir können uns dem durch die GEW vorgelegten Dresdner Gesetzesentwurf für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz “Dauerstellen für Daueraufgaben” aus September 2022 anschließen. Wir unterstützen die dort niedergeschriebenen Forderungen und Reformvorschläge. 

      Dabei geht das Papier der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Detail darüber hinaus, was in diesem Antrag reproduziert werden kann, und sollte für die Einzelheiten konsultiert werden. Im Allgemeinen unterstreichen wir aber unsere gemeinsamen Forderungen:   

      • Faire Arbeitsverträge, bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen sind zu schaffen. 
      • Die Arbeitsplatzsicherheit für Forscher*innen und insbesondere für den Wissenschaftsnachwuchs muss erhöht werden. Es sind unbefristete Arbeitsverträge nach Möglichkeit in allen Fällen abzuschließen. Das WissZeitVG gehört entsprechend reformiert oder abgeschafft. Wir wollen die Abschaffung der Befristung von Arbeitsverträgen für Wissenschaftler*innen. Der Mittelbau muss so gestärkt werden.
        • Die wissenschaftliche Qualifizierungsphase soll dabei mit dem Abschluss der Promotion enden. Eine Person im Postdoc wird sich zwar weiterqualifizieren, wäre aber in Bezug auf das Anstellungsverhältnis nicht mehr als “flexibel” zu betrachten und sollte unbedingt unbefristet angestellt sein. Es müssen Dauerperspektiven nach der Promotion zur Verfügung stehen. 
        • Eine Promotion sollte vertraglich mindestens vier, in der Regel aber sechs Jahre Laufzeit erhalten. Die Aufgaben für Promovierende sind dabei klar von Drittmittelprojekten und Daueraufgaben zu trennen. 
        • Auch bei studentischer Beschäftigung sind Höchstbefristungen aufzuheben und Mindestlaufzeiten zu verankern 
      • Es sollen klare und transparente Karrierewege für Wissenschaftler*innen etabliert werden, um ihnen eine langfristige Perspektive zu bieten. Wir sehen hier insbesondere das Tenure-Track-Modell für geeignet.

      Es besteht allerdings auch ein Reformbedarf über das WissZeitVG hinaus: 

      • Der Leistungsdruck muss reduziert werden. Dies kann durch Überprüfung der Evaluierungs- und Förderprozesse geschehen. 
        • Es gilt die Work-Life-Balance von Wissenschaftler*innen und die Vereinbarkeit mit Familie deutlich zu verbessern. Die mentale Gesundheit ist in den Mittelpunkt zu stellen und Überbelastungen sind abzubauen. Dem muss mit einer Personalstruktur begegnet werden, die den Aufgaben gerecht wird. Hierbei spielen erneut Daueraufgaben eine entscheidende Rolle. 
      • Das Finanzierungssystem der deutschen Hochschulinstitutionen gehört kritisch hinterfragt. Hierzu zählt auch eine Veränderung der Drittmittelvergabepraxis. Es muss sichergestellt werden, dass allen Wissenschaftler*innen eine adäquate Arbeitsausstattung zur Verfügung steht, was auch die Forschung verbessern wird. Forschungsmittel müssen immer gerecht verteilt werden, die Grundfinanzierung muss ausgeweitet werden. Die Überarbeitung sollte mit einer höheren Transparenz der Wissenschaftsfinanzierung einhergehen und erfordert auch eine Harmonisierung der Förderbedingungen von Bund und Länder. 
      • Flankierend zur Überarbeitung bzw. Reform des WissZeitVG muss die sachgrundlose Befristung im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBFG) gestrichen werden. Hier schließen wir uns der Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) an. So wird ein weiteres Schlupfloch zur Befristung geschlossen. 
      • Die komplexen Themen unserer Zeit erfordern beste Lösungen. Dafür muss das Wissenschaftssystem interdisziplinär, vielfältig und divers sowie inklusiv gestaltet werden. Alle müssen teilhaben können. Die Zugangsmöglichkeiten zum universitären System dürfen in keiner Weise diskriminierend gestaltet sein und müssen diesbezüglich immer wieder überprüft werden. Wir bestreben die Förderung von interdisziplinärer Forschung und eine bessere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachbereichen sowie den Ausbau internationaler Kooperationen und wirtschaftlicher Vernetzungen. 
      • Eine größere Beteiligung der Zivilgesellschaft und von Gewerkschaften an der Wissenschaftspolitik ist erstrebenswert, denn durch eine engere Verzahnung kann das Wissenschaftssystem zukunftsfähig gestaltet werden und an die Bedürfnisse und Herausforderungen der Gesellschaft anknüpfen. 
      • Auch studentische Beschäftigte sind für den akademischen Betrieb essentiell. Sie unterstützen den Lehr- und Forschungsbetrieb, der ohne sie nicht funktionieren würde. Gleichzeitig dient eine Stelle als studentische Hilfskraft (SHK) oder wissenschaftliche Hilfskraft (WHK) als Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere. Ohne die Erfahrung, neben dem Studium bereits an der Hochschule gearbeitet zu haben, wird eine akademische Berufslaufbahn unwahrscheinlicher. Diese hohe Bedeutung von SHK- und WHK-Stellen zeichnet sich nicht ab in den derzeitigen Arbeitsbedingungen studentischer Hochschulbeschäftigter. 
        • Die Bezahlung liegt meist unter einem existenzsichernden Mindestlohn, es gilt lediglich der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch, über viele Regelungen wird dazu nicht aufgeklärt. Dazu kommt oft ein Abhängigkeitsverhältnis durch die Beschäftigung bei den Dozierenden, die über den eigenen Studienerfolg entscheiden. Nicht verwunderlich ist deswegen, dass Gewerkschaften, Studierendenvertretungen und auch die Juso-Hochschulgruppen schon lange einen Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte, den TVStud, fordern. Die prekären Arbeitsbedingungen haben zur Folge, dass sich viele die Beschäftigung als studentische Hilfskraft nicht leisten können. 70% aller SHK kommen aus gehobenen Bildungshaushalten, was unserem Bild von Chancen- und Bildungsgerechtigkeit widerspricht.
        • Wir solidarisieren uns dementsprechend über allem hinaus mit der bundesweiten TVStud-Bewegung und den einzelnen Basisgruppen an den Hochschulen vor Ort und schließen uns ihren Forderungen an. Dazu gehören tarifliche Regelungen wie:
          • Urlaubsansprüche, Jahressonderzahlungen und eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
          • Studierendenfreundliche Mindestvertragslaufzeiten mit einseitigem vorzeitigem Kündigungsrecht für Studierende und das Ende von Kettenbefristungen
          • Mitbestimmung und demokratische Teilhabe durch Personalräte für studentische Beschäftigte
          • Eine deutlicher Lohnanstieg auf ein existenzsicherndes Niveau und regelmäßige Lohnerhöhungen durch Anbindung an die Lohnsteigerungen im TV-L 

          Extrarunde Nr. 2, bitte sehr 

          Wir können es nicht dulden, dass von einem FDP-geführten Bundesministerium am Ende einer langen Vorbereitungsphase eine „Novellierung” des WissZeitVG vorgelegt wird, die deutlich mehr einer Nivellierung gleicht. Zwar reagierten die Verantwortlichen der Ampel-Koalition prompt und zogen den ersten Referent*innenentwurf zur Reform nach nicht einmal zwei Tagen zurück, gingen zurück in die Montagehalle und legten einen zweiten neuen Entwurf vor, aber auch bei diesem bleiben Kritikpunkte offen. Das machten die Stakeholder, insbesondere die GEW, in ihrer Stellungnahme deutlich.

          Der Bundesregierung muss klar sein, dass eine Reform, die die kritisierten Probleme in nicht ausreichender Weise behebt, nicht tragbar ist. Wir begrüßen es, dass die Qualifikationsphase mehr Anerkennung zukommen soll und dass das Modell der Anschlusszusage integriert wurde.  Erfreulich sind ebenso die Mindestvertragslaufzeiten für Studierende und das Aufgreifen eine Pflegekomponente bei möglichen Vertragsverlängerungen. Dennoch muss man bei vielen Regelungen von “wachsweichen Soll-Bestimmungen” sprechen und Befristungen werden der Regelfall bleiben. Verlässliche Karrierewege gestaltet man anders.  

          Niedrige Befristungshöchstgrenzen für Post-Docs und das Abspeisen der Promovierenden bei den Mindest­vertragslaufzeiten mit zunächst 3 Jahren  sind nicht ausreichend zufriedenstellend. Eine Absenkung der Höchstbefristungsdauer ohne Konzept für mehr Dauerstellen ist prekär. Des Weiteren wird die Forderung, dass unmittelbar nach der Promotion keine Qualifiizierungsbefristung ohne Anschlusszusage mehr möglich sein sollte, nicht erfüllt.  Für Post-Docs bedeutet das weiterhin also vier Jahre bangen und Unplanbarkeit. Diese Kritikpunkte werden auch nicht dadurch wettgemacht, dass ein Erfolg bei der Mindestvertragslaufzeit für studentische Beschäftigte von einem Jahr verzeichnet werden kann. 

          Wir solidarisieren uns mit allen wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, die zu über zwei Dritteln auf befristeten Stellen tätig sind. Wir solidarisieren uns mit dem akademischen Mittelbau! Es ist jetzt an der Zeit eine konsequente und in alle Teilen angemessene Gesetzgebung auszuarbeiten – wie es die GEW vorgelegt hat-, um tatsächliche Veränderungen im Wissenschaftssystem zu bewirken. Verlieren wir keine wertvolle Zeit mehr und hören wir auf, Extrarunden zu drehen. Geben wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs Grund zur Hoffnung. Setzen wir uns gemeinschaftlich ein für ein Wissenschaftssystem, das sich den komplexen Gesellschaftsproblemen stellen kann, für Universitäten, die für alle da sind und für Zeit zum Lernen, Lehren und Forschen. 

           

          Empfehlung der Antragskommission:
          Überweisen an: Bundestagsfraktion
          Version der Antragskommission:

          Erledigt durch Koalitionsvertrag im Bund (S. 16 f.) und Land (S. 67 f.)

          Beschluss: Keine halben Sachen - Ein echter Neustart für die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft!
          Text des Beschlusses:
          • Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), sowohl in seiner aktuellen Form als auch im jüngsten Referent*innenentwurf vom 6. Juni 2023, verfehlt seinen Zweck und belastet Menschen in der Wissenschaft unangemessen. Es bedarf einer umfassenden und sinnvollen Reform. 
          • Darüber hinaus ist die Reform des universitären Systems in verschiedenen Bereichen unumgänglich. 
          • Die Forderungen des Dresdner Gesetzesentwurfs „Dauerstellen für Daueraufgaben“ von September 2022, vorgelegt von der GEW, sind als Verhandlungsziel zu übernehmen. Die Unterstützung dieser Forderungen und Reformvorschläge wird beschlossen. 
          • Faire Verträge, bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
          • Verbesserung der Arbeitsplatzsicherheit für Forscher*innen und insbesondere den wissenschaftlichen Nachwuchs durch vermehrte unbefristete Arbeitsverträge. Eine Reform oder Abschaffung des WissZeitVG ist notwendig, um langfristige Perspektiven nach der Promotion zu schaffen.
          • Etablierung klarer, transparenter Karrierewege für Wissenschaftler*innen, inklusive des Tenure-Track-Modells.
          • Kritische Überprüfung der Finanzierung deutscher Hochschulen und Änderung der Drittmittelvergabepraxis, um angemessene Arbeitsbedingungen und Forschungsausstattung zu gewährleisten. Eine gerechtere Verteilung von Forschungsmitteln und Ausweitung der Grundfinanzierung sind erforderlich. Die Überarbeitung sollte eine transparentere Wissenschaftsfinanzierung beinhalten und Bund-Länder-Förderbedingungen angleichen.
          • Parallel zur WissZeitVG-Reform soll die sachgrundlose Befristung im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBFG) gestrichen werden.
          • Solidarisierung mit der bundesweiten TVStud-Bewegung und Basisgruppen an Hochschulen und Anschluss an ihre Forderungen.
          • Zugang zum universitären System darf nicht diskriminierend sein und muss regelmäßig überprüft werden. Förderung interdisziplinärer Forschung, verbesserte Zusammenarbeit zwischen Fachbereichen, Ausbau internationaler Kooperationen und Beteiligung von Zivilgesellschaft und Gewerkschaften an der Wissenschaftspolitik ist angestrebt. 
              Beschluss-PDF:
              Überweisungs-PDF: