I-06 Jin, Jiyan, Azadi! Solidarität mit den Protesten im Iran! Kampf dem Mullah-Regime!

Status:
Annahme

„Das ist der Beginn einer Revolution“ 

Am 16. September 2022 starb Jina (Mahsa) Amini in einem Teheraner Krankenhaus. Drei Tage zuvor war sie von der Gašt-e eršād, der sogenannten “Sittenpolizei”, festgenommen worden, weil sie den Hidschab angeblich nicht vorschriftsgemäß trug. Augenzeug*innen beobachteten, wie die “Sittenpolizei” Amini schlug. Die 22-Jährige überlebte diese Festnahme nicht. Amini war eine von unzähligen FINTA, die von der Gašt-e eršād wegen ihrer Kleidung verhaftet, schikaniert und unterdrückt werden. Gerade deshalb wurde sie in kürzester Zeit zu einem Symbol: Seit ihrem Tod rollt eine Protestwelle durch den Iran. Tausende gehen auf die Straße, vor allem am Abend oder in der Nacht und demonstrieren gegen ein korruptes und patriarchales Regime. Obwohl diese Proteste im Ausland – auch in Deutschland – immer weniger Aufmerksamkeit finden, geht der Kampf der Iraner*innen für ihre Freiheit weiter. Um diesen Kampf zu gewinnen, brauchen sie mehr als nur unsere symbolische Solidarität. Das iranische Regime nutzt die geringe internationale Aufmerksamkeit, um besonders brutal gegen jede Opposition vorzugehen. Von der Bundesregierung erwarten wir, dass sie ihren Ankündigungen der feministischen Außenpolitik jetzt Taten folgen lässt! Auch ein Jahr nach dem Tod von Jina (Mahsa) Amini dürfen wir die feministische Revolution im Iran nicht vergessen! 

Wir fordern deshalb:

  • das Ende der Gewalt gegen die Demonstrant*innen und Oppositionelle im Iran. 
  • umfassende Sanktionen gegen den Unterdrückungsapparat des iranischen Regimes und diejenigen, die davon profitieren. Die bisherigen EU-Maßnahmen, die unter anderem gegen die Gašt-e eršād (“Sittenpolizei”) sowie die Basidsch-Milizen gerichtet sind, sind ein richtige Schritte. Die Liste der sanktionierten Personen und Organisationen muss jedoch deutlich ausgeweitet werden. So müssen auch die Revolutionsgarde, die mit ihnen verbundenen Unternehmen und Vermögenswerte sowie die obersten Machthaber im Iran in den Fokus der Sanktionen rücken. Denn bei aller Unterdrückung und Armut im Iran, die Angehörigen der Elite und ihre Angehörigen genießen nach wie vor Freiheiten, die sie anderen verwehren, sowie zum Teil enormen Wohlstand. Das zeigte sich erst kürzlich, als der sogenannte “Todesrichter” Hussein-Ali Najeri verschiedenen Berichten zufolge in der Privatklinik INI in Hannover behandelt wurde. Diese Mobilität und Straffreiheit des iranischen Regimes muss der Vergangenheit angehören!
  • die Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste zu setzen.
  • das Ende der einseitigen Fokussierung auf die Atom-Verhandlungen. Die notwendige Reaktivierung des Atomabkommens darf nicht auf dem Rücken der feministisch-revolutionären Zivilgesellschaft im Iran ausgetragen werden. Iranische Oppositionelle fürchten nicht ohne Grund, dass der EU, insbesondere Deutschland, ein Erfolg in den Atom-Verhandlungen wichtiger ist als ein entschlossenes Vorgehen gegen das iranische Regime. Für uns ist klar: Mit einem Regime, das feministische und demokratische Proteste gewaltsam niederschlägt, kann kein verlässliches Abkommen geschlossen werden. Zwingende Voraussetzung für erneute Verhandlungen mit neuen Regierungen muss deshalb sein, dass verbindliche Zusagen zum Ende der Gewalt gegenüber und die Anerkennung grundlegender Freiheiten von FINTA erfolgen und dahingehende Fortschritte zu beobachten sind. Der internationale Einsatz für FINTA ist im Rahmen von feministischer Außenpolitik nicht verhandelbar.
  • ein entschlossenes Vorgehen auch gegen die konventionelle Aufrüstung im Iran, insbesondere das Mittelstreckenraketenprogramm, das bislang nicht im Atomabkommen enthalten war und eine enorme Bedrohung für Israel darstellt. Diese konventionelle Rüstung darf nicht länger ausgeklammert werden.
  • einen Stopp der Zusammenarbeit aller staatlichen Stellen mit Vereinen und Institutionen, die dem iranischen Regime nahestehen. Das betrifft unter anderem das Islamische Zentrum Hamburg.
  • ein entschlossenes Vorgehen gegen Ableger des iranischen Regimes in Deutschland wie die Organisator*innen der antisemitischen Al-Quds-Märsche.
  • dass das Angebot der Deutschen Welle auf Farsi ausgebaut wird, um Iraner*innen den Zugang zu politischen Informationen jenseits der staatlichen Zensur zu erleichtern.
  • die Demonstrant*innen beim Zugang zum Internet zu unterstützen. Dabei reicht es nicht, wenn Privatpersonen aus dem Ausland versuchen zu helfen. Der Zugang zum Internet ist ein zentraler Bestandteil der Proteste und muss deshalb in Deutschland von staatlicher Seite unterstützt werden. Eine Maßnahme dafür ist die Einrichtung eines staatlich finanzierten Fonds für digitale Freiheit, der die Wartung, Weiterentwicklung und Verbreitung von digitalen, quelloffenen Werkzeugen für verschlüsselte Kommunikation und zur Umgehung von Zensur fördert.
  • sichere Fluchtrouten sowie eine erleichterte Einreise in die EU für Iraner*innen. Das betrifft Asylverfahren ebenso wie die Vergabe von Visa. Die Zeiten, in denen vor allem junge Iraner*innen kein deutsches Visum bekommen haben, müssen endlich vorbei sein.
  • erhöhte Schutzmaßnahmen für Exil-Iraner*innen durch deutsche Sicherheitsbehörden, sowie die Einrichtung von Anlauf- und Meldestellen für Betroffene.
  • einen dauerhaften Abschiebestopp in den Iran
  • dass sich die SPD den vielerorts stattfindenden Demonstrationen gegen das iranische Regime anschließt.
  • das Ende der Diskriminierung von FINTA, ethnischen Minderheiten, Angehörigen der LGBTQIA+ Community und anderer marginalisierter Gruppen im Iran, die Freilassung aller politischen Gefangenen und wie von den Protestierenden stets gefordert, die Durchführung eines freien Referendums über die Zukunft des Iran.
        Begründung:

        Es herrscht Winter im Iran – seit 44 Jahren. 

        Auch 1979 waren die Straßen im Iran voll mit Demonstrant*innen. Damals richteten sich die Massenproteste gegen den iranischen Schah, Mohammad Reza Pahlavi, der sich mit nationalistischer Symbolik zu legitimieren versuchte und mithilfe des Geheimdienstes SAVAK als Despot herrschte. Offiziell verfolgte der Schah das Ziel der Gleichberechtigung der Geschlechter. So erhielten FINTA 1962 das aktive und passive Wahlrecht, 1967 wurde die Scheidung seitens der Frau erleichtert. Den privaten Freiheiten zum Trotz, die es im Iran vor 1979 gab, waren politische Partizipation und eine demokratische Opposition nicht möglich. Gleichzeitig herrschte eine enorme soziale Ungleichheit, während die Herrscherfamilie einen luxuriösen Lebensstil pflegte. Die Proteste gegen den Schah umfassten daher unterschiedlichste Gruppen: religiöse, liberal-bürgerliche ebenso wie linke bis kommunistische Gruppen. Ruhollah Chomeini inszenierte sich bewusst als Integrationsfigur, betonte die Gleichberechtigung der Geschlechter und sprach sich für demokratische Freiheiten aus. Sein Ziel, einen Gottesstaat zu errichten, verkündete er erst später. Dabei profitierten Chomeini und seine Anhänger*innen davon, dass die Geistlichkeit als einzige auch in der Schah-Zeit über eine gemeinsame Organisation und über die besten Informationsnetzwerke verfügte. Von Gleichberechtigung und Demokratie blieb nach der sogenannten “Islamischen Revolution” nichts übrig: Eine Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten wurde errichtet, de facto konservativer bis fundamentalistischer alter Männer, an deren Spitze ein religiöser und zugleich politischer Führer steht. Seitdem ist das Strafrecht nach der Scharia ausgerichtet, FINTA werden gezwungen, das Kopftuch zu tragen, Alkohol ist verboten. Ein zwölfköpfiger Wächterrat entscheidet darüber, ob die Beschlüsse des Parlaments zugelassen werden sowie wer für politische Ämter wie das des Präsidenten kandidieren darf. Die Möglichkeit der Wahl besteht für iranische Staatsbürger*innen also nur innerhalb eines engen Korridors, der dieser fundamentalistischen Auslegung des Islam zu folgen hat. Wie eng dieser Korridor ist, zeigt sich auch in der Bewertung des ehemaligen Präsidenten Hassan Rohani: Der wurde im Ausland schon deshalb als Reformer begrüßt, weil er sich für Verhandlungen im Atom-Streit einsetzte. Das Unterdrückungssystem der Islamischen Republik stellte er nie prinzipiell in Frage. Doch selbst dieser Spielraum wurde dem obersten Führer Chamenei offenbar zu viel: Lediglich sieben Kandidaturen wurden für die Präsidentschaftswahl 2021 zugelassen, die meisten davon ultrakonservative Hardliner. Mit Ebrahim Raissi gewann einer dieser Hardliner die Wahl. Damit ist ein Mann Präsident des Iran, der in den 1980er Jahren für Massenhinrichtungen verantwortlich war und 2009 Menschen verfolgte, die auf Vergewaltigungen in iranischen Gefängnissen aufmerksam gemacht hatten. 

        Die Repressionen des Regimes beziehen auch den Zugang zum Internet mit ein, schließlich ist das Internet die Hauptquelle für Informationen jenseits der staatlichen Zensur. Der “Hohe Rat für den Cyberspace” verfolgt das Ziel eines nationalen Internets, basierend auf iranischen Servern, das der Kontrolle des Regimes unterliegt. Viele Internetdienste, wie Facebook oder Youtube, waren deshalb schon vor den aktuellen Protesten gesperrt. Nun fiel auch Instagram der Zensur zum Opfer, eine der letzten verfügbaren Apps, die sich im Iran großer Beliebtheit erfreut. Allerdings beteiligte sich der Meta-Konzern, zu dem Instagram gehört, auch an der Zensur. Regimekritische Posts wurden von Instagram nachweislich gelöscht. Es steht der Verdacht im Raum, das Instagram-Moderator*innen, die für den Iran zuständig sind, bestochen wurden, um die Posts zu löschen. Diese Vorwürfe müssen aufgeklärt werden. Ein Internetdienstleister wie Meta darf nicht zum Werkzeug staatlicher Zensur werden. Doch nicht nur ausgewählte Posts oder Dienste wurden gesperrt. Das Regime schaltete das Internet zwischenzeitlich komplett ab, in der Hoffnung, damit die Organisation der Proteste zu beeinträchtigen. Trotz der staatlichen Zensur gibt es verschiedene Möglichkeiten, anonyme Wege ins freie Internet zu schaffen, wie z.B. über die Browser-Erweiterung Snowflake und Proxy-Server. Viele Privatpersonen außerhalb Irans helfen bereits damit. Das darf jedoch keine private Verantwortung sein: Die Bundesregierung ist in der Verantwortung, die Menschen im Iran beim Zugang zum freien Internet zu unterstützen. Außerdem müssen online mehr Informationen auf Farsi angeboten werden, damit sich Iraner*innen unabhängig von der staatlichen Zensur informieren können. Die Deutsche Welle sollte dahingehend ausgestattet werden, dass sie diese wichtige, emanzipatorische Aufgabe wahrnehmen kann. Die geplanten Haushaltskürzungen, die genau diesen Politikbereich wie z.B. das deutsch-, englisch-und arabischsprachige Internetportal Qantara treffen, müssen abgewendet werden. Mit einer feministischen Außenpolitik sind diese Kürzungen nicht vereinbar. Eine Recherche von Correctiv, nerzpolitik.org und der taz zeigte kürzlich, dass das iranische Regime für die Einschränkung und Abschaltung des Internets auch Strukturen im Ausland nutzt. Darunter Unternehmen mit Tochterunternehmen oder Ablegern in Europa. Unter ihnen auch in Deutschland ansässige Unternehmen, die mit dem Regime kooperieren. Über die Firma Softqloud in Deutschland wurden für das iranische Unternehmen Arvancloud Datencenter von amerikanischen und niederländischen Netzbetreibern genutzt. Softqloud betreibt, nach Ergebnissen der Recherchen, zudem Webseiten, die gezielt von einem möglichen Shutdown im Iran ausgenommen werden können: Darunter unter anderem Webseiten des iranischen Agrarministeriums sowie diverser iranischer Botschaften. Eine Verbindung zwischen diesem Netzwerk, den europäischen Datencentern und dem iranischen Regime liegt nahe. 

        Wir fordern jede Zusammenarbeit mit dem iranischen Regime oder staatlichen Unternehmen mit sofortiger Wirkung einzustellen. Für europäische Unternehmen, die mit dem Regime des Irans weiterhin kooperieren oder die mit der iranischen Diktatur in Verbindung stehen, müssen umgehend Sanktionen verhängt und Unternehmenswerte eingefroren werden. Es darf keine Möglichkeit für das iranische Regime bestehen, Sanktionen der EU über ausländische Firmen zu umgehen. Die aktuelle Lage im Iran erfordert entschieden mehr Entschlossenheit seitens der Bundesregierung, sowie der Europäischen Union. 

        Die Freiheit ist weiblich. 

        Der Mord an Jina (Mahsa) Amini zeigt einmal mehr, welche Auswirkungen die streng patriarchalen Strukturen im Iran haben. Gewalt gegen FINTA-Personen ist als Ausdruck des Machtungleichgewichts zwischen den Geschlechtern das Ergebnis von paternalistisch, männlich dominierenden Verhaltens- und Denkmustern. Während der iranische Unrechtsstaat versucht, sich aus der Verantwortung für den Tod Aminis herauszureden werden die Stimmen der Gegner*innen lauter: Der Tod von Jina Mahsa Amini ist ein Femizid! FINTA sterben, weil sie der Deutungshoheit der männlichen Dominanzherrschaft unterliegen. Es liegt im Ermessen der sogenannten Sittenpolizei, ob sich eine FINTA-Person gemäß der Scharia korrekt verhält. Dabei geht es dem theokratischen Herrschaftssystem nicht um die Religionsausübung der Zivilbevölkerung, vielmehr wird der Islam als Grundlage für dieses System missbraucht, um die massive Ungleichbehandlung von FINTA zu legitimieren. 

        Der Protest gegen die gewaltsame Durchsetzung des Verhüllungszwangs durch die Sittenpolizei hat nicht nur der Protest von FINTA angefacht: Inzwischen solidarisieren sich Brüder, Vater und Söhne mit den Emanzipationen der FINTA im Iran. Es geht um Grundrechte, die vom Mullah-Regime mit Füßen getreten werden. 

        FINTA im Iran werden sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum stark diskriminiert. Nach der Islamischen Revolution von 1979 konnte die von der Regierung geforderte Zwangsverschleierung zunächst nicht durchgesetzt werden: Am feministischem Kampftag versammelten sich spontan zehntausende FINTA in Teheran zu einer dreiTage andauernden feministischen Demonstrationen gegen die Verschleierungspflicht. Doch bereits zwei Jahre danach wurden die FINTA-Rechte sukzessive vom Staat wieder eingeschränkt, indem Trennungen nach Geschlechtern an öffentlichen Orten vorgenommen und die Kleiderordnung zur Bedeckung des Haares und das Tragen von weit sitzender Kleidung vorgeschrieben wurden. Make-up oder Nagellack waren verboten und die Farben sollten gedeckt sein, bestenfalls schwarz. Nach Repressionen in den Neunzigerjahren unter den Klerikern Ali Akbar Rafsandschani (1989-1997) und vor allem Mohammad Chatami (1997-2005) lockerten sich die Kleiderordnungen und damit das Erscheinungsbild der FINTA. Das Ablegen des Hijabs in der Öffentlichkeit gilt nach wie vor als Protestaktion gegen das unterdrückende Regime. Bei Protestaktionen, wie „My Stealthy Freedom“ 2014 und der „White Wednesday“ 2017 riefen Iranerinnen dazu auf, für die Gleichbehandlung einzustehen und die Verschleierung als Symbol für die Selbstbestimmung abzulegen. Welche Gefahren diese friedlichen Proteste bergen, zeigt beispielhaft die Festnahme von drei FINTA, welche 2019 unverschleiert Blumen an Passagier*innen einer U-Bahn verteilten und zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Die Proteste der vergangenen Wochen beziehen sich auf das aggressive Vorgehen der Sittenpolizei gegenüber FINTA, das sich in den letzten Wochen verstärkt hat. Der Kampf der FINTA im Iran ist ein feministischer Kampf, denn es geht nicht um das Tragen eines Kopftuchs, es geht um das Durchgreifen des Staates in die Selbstbestimmung der FINTA. Außerdem stehen queere Menschen im Zentrum der staatlichen Diskriminierung. Homosexuelle Handlungen werden mit der Todesstrafe bestraft. Seit 1979 sind schon mehrere tausend Menschen aufgrund ihrer Sexualität hingerichtet worden. Transidentität steht hingegen nicht unter Strafe, wenn sich Trans-Personen geschlechtsangleichenden Maßnahmen unterziehen. Das führt dazu, dass viele Homosexuelle zu Geschlechtsumwandlungen gedrängt werden, weil ihre Sexualität dann offiziell nicht mehr als gleichgeschlechtlich gewertet wird und sie somit der Todesstrafe entkommen. So führt selbst die Nicht-Strafbarkeit von Transidentität im queerfeindlichen, iranischen Strafrecht zu enormem Leid. Diese misogyne und queerfeindliche Politik wird durch die Unterdrückung ethnischer Minderheiten noch verschärft. Kurdische FINTA beispielsweise, wie Jina (Mahsa) Amini, sind im Iran einer doppelten Diskriminierung ausgesetzt, da sie nicht nur als FINTA sondern auch als Kurd*innen gewaltsam unterdrückt und getötet werden. Der feministische Kampf muss daher intersektional sein, um Mehrfachdiskriminierungen erkennen und benennen zu können. Erst wenn kurdische FINTA im Iran frei sind, können alle FINTA frei sein. 

        Im aktuellen Kampf für Selbstbestimmung zeigen sich ein unglaublicher Mut und Zusammenhalt. Deshalb ist das, was wir jetzt sehen, ein feministischer Protest. Und feministische Außenpolitik würde bedeuten, die Iraner*innen in diesem feministischen Anliegen, dem Wunsch, selbstbestimmt zu leben, zu unterstützen. 

        Dabei ist wichtig zu betonen, dass die politische Auslegung des schiitischen Islam, auf die sich die islamische Republik gründet, weder eine “Rückkehr zum Mittelalter” noch Ausdruck einer traditionellen Religiosität ist. Die Theorien, auf die Ajatollah Chomeini zurückgegriffen hat, sind Produkte des 20. Jahrhunderts, und stark geprägt vom Kampf gegen das Schah-Regime auf der einen, gegen vermeintlich westliche Einflüsse auf der anderen Seite. Wir dürfen jedoch nicht den Fehler begehen, der Regime-Propaganda zu glauben, die behauptet, liberale Demokratie, Rechtsstaat und Gleichberechtigung seien lediglich Versuche der “westlichen“ Einflussnahme und richteten sich gegen die iranische Kultur und Religion. Der Iran blickt auf eine lange Geschichte im Kampf um die Demokratie zurück. Schon 1906, in der Konstitutionellen Revolution, kämpften Iraner*innen gegen die absolute Monarchie, für ein Parlament und eine moderne Verfassung. Schon damals gab es große Konflikte zwischen säkularen Bestrebungen und den Zielen des Klerus, der nicht bereit war, seine Machtstellung aufzugeben. Auch heute kämpfen zahlreiche Menschen im Iran für einen Staat, in dem sie frei und selbstbestimmt leben können und die Machthaber*innen halten an der Islamischen Republik fest, obwohl sich nur knapp 40 Prozent der Iraner*innen als muslimisch verstehen und in der Bevölkerung ein allgemeiner Trend zur Säkularisierung herrscht. Umso wichtiger ist es, dass wir uns mit den demokratischen Bestrebungen im Iran solidarisieren und den Versuch des Regimes, Demokratie als etwas “Fremdes” abzustempeln, zurückweisen. 

        Jina oder Mahsa? Die Unterdrückung der Kurd*innen 

        Nirgendwo im Iran sind die Proteste so heftig und anhaltend wie in den kurdischen Gebieten im Westen des Landes. Kurd*innen leisten bereits lange Widerstand gegen das harte Vorgehen der regimetreuen Sicherheitskräfte. Jina (Mahsa) Amini steht damit nicht nur für die Wut der FINTA und der jungen Menschen im Iran, sondern auch für die Wut der ethnischen Minderheiten, insbesondere der Kurd*innen, die sich als “größtes Volk ohne Land” bezeichnen. Im Iran sind gut zehn Prozent der Bevölkerung kurdischer Abstammung, so auch Jina (Mahsa) Amini. Die Teheraner “Sittenpolizei” behauptet derweil, dass es keine Rolle gespielt habe, dass die junge Frau Kurdin war. Kurd*innen leiden nicht erst seit der Ausrufung der islamischen Republik unter Diskriminierung und Unterdrückung. Immer wieder stehen sie im Konflikt mit der iranischen Führung. Als Folge sind sie bereits gut organisiert, was bei der schnellen Ausbreitung der Proteste nach Aminis Tod zum Tragen kam. Die kurdische Solidarität wird daher als die treibende Kraft der aktuellen Proteste im Iran gesehen. 

        Die grundsätzliche Ausübung der kurdischen Identität ist im Iran nicht verboten und dennoch kommt es schnell zur blutigen Unterdrückung, sobald sich Kurd*innen als Volk definieren. Man darf kurdisch sprechen und kurdische Kleidung tragen, es gibt teilweise kurdische Medien, die jedoch von der islamischen Regierung kontrolliert und zensiert werden. Die kurdische Frage im Iran lässt sich viel stärker als eine Klassenfrage definieren. In kurdischen Gebieten fehlt es an einfachster Infrastruktur, während sich Teheran mittlerweile hochmodern entwickelt hat. Das repressive iranische Regime handelt im Sinne einer “Hungerherrschaft” und durch eine zunehmende Privatisierung von zum Beispiel Schulen, das Abschaffen der Arbeiter*innenversicherung und eine zunehmende Inflation wird absichtlich dafür gesorgt, dass die kurdische Ethnie ökonomisch unterentwickelt bleibt. Die humanitäre Lage hat sich in kurdischen Gebieten aufgrund der Coronakrise nochmal massiv verschärft. 

        In den kurdischen Gebieten im Iran sind verschiedene politische Parteien aktiv. Gleichzeitig bringt die Organisation in Parteien eine neue Form der Unterdrückung durch das iranische Regime mit sich. In den organisierten kurdischen Gebieten geht das Regime gewaltvoll gegen jegliche Proteste oder Streiks vor. Der bewaffnete Kampf ist hier im Vergleich zu anderen Teilen im Iran schon lange kein Tabu mehr. Für die kurdische Bevölkerung ist es eine traurige Normalität, in einem Gebiet der Kriegsoperationen zu leben. Sie spüren die Unterdrückung durch den repressiven autoritären Staat in ausgeweiteter Form. 

        Im Jahre 2018 kam es bereits zu einer ersten Welle an Protesten, die hauptsächlich durch kurdische Arbeiter*innen getragen wurden. Zehn Tage lang im Januar protestierten Menschen in kleineren Städten des Irans, also in ökonomisch abgehängten Regionen, in denen vor allem ethnische Minderheiten leben, gegen das Regime. Auslöser war das fehlgeschlagene Atomabkommen, nachdem US-Präsident Trump ausgestiegen war. Die Antwort der islamischen Regierung war sehr brutal, es gab viele Getötete. Es folgten im selben Jahr Hinrichtungen kurdischer Aktivist*innen durch das iranische Regime. Im Jahre 2019 wurde eine vor allem kurdische Arbeiter*innenbewegung nach Protesten gegen die Benzinpreiserhöhung brutal niedergeschlagen. 

        Die kurdischen Arbeiter*innenbewegungen sind als ein zentraler Bestandteil des Widerstandes der Bevölkerung gegen das islamische Regime zu verstehen, wie sich in der aktuellen Situation nach der Tötung Aminis verstärkt zeigt. Eine Hochburg der aktuellen Aufbegehren gegen den Islamischen Staat ist Saqez, der Heimatort von Amini. Beobachter*innen beschreiben darüber hinaus Proteste vom äußersten Norden der kurdischen Regionen bis in den äußersten Süden. Kleinstädte sind dabei genauso von Unruhen erfasst wie größere Städte. Menschenrechtsorganisationen beschreiben, dass nirgendwo die Rebellion gegen das islamische Regime im Iran jetzt so groß ist, wie in den kurdischen Regionen. Hier kommt es seit Wochen zu schweren Zusammenstößen zwischen Kurd*innen und regimetreuen Sicherheitskräften. In kurdischen Gebieten wurde die Zahl der Sicherheitskräfte zuletzt deutlich erhöht, das Internet wurde teilweise abgeschaltet oder die Verbindungen gedrosselt. 

        Der Tod der jungen Kurdin, die ihren kurdischen Namen Jina offiziell gegen den persischen Namen Mahsa eintauschen musste, hat Angehörige aller ethnischen Gruppen, FINTA und Männer gegen die iranischen Machthaber geeint. Von Nord bis Süd und West bis Ost wird mittlerweile unter dem kurdischen Slogan “Frau, Leben, Freiheit” protestiert. Das Ende der Unterdrückung und Bevormundung durch das theokratische Regime wird nun nicht mehr nur durch die Kurd*innen, sondern von vielen Iraner*innen gefordert. Auch in unserer Betrachtung der iranischen Gesellschaft muss die ethnische, sprachliche und kulturelle Vielfalt endlich mehr Platz einnehmen. 

        Student*innen fordern die Staatsmacht heraus 

        Neben Arbeiter*innenbewegungen und FINTA-Bewegungen spielen auch studentische Bewegungen eine zentrale Rolle in den aktuellen Protestbewegungen. An den Universitäten gibt es bereits seit 2017/18 wieder Student*innenräte mit linker Ausrichtung, nachdem 2009 alle Studierendenverbindungen durch das Regime geschlossen wurden. Traditionell spielen Student*innen eine zentrale Rolle bei Protestbewegungen im Iran: Während der Revolution von 1979, aber auch noch danach bei weiteren Protestbewegungen 1998 und 2009 haben Student*innen von ihrem Potential, verschiedene Teile der Gesellschaft zu mobilisieren, Gebrauch machen können. Studierende stammen aus allen Schichten der Gesellschaft Ethnien übergreifend und bringen eine gewisse intellektuelle Unterstützung in Protestbewegungen mit. Das Regime scheint sich dem großen Potenzial von Student*innenprotesten bewusst zu sein und geht vehement gegen das Entstehen von organisierten Protesten vor. Im Dezember 2018 organisierten Studierende an der Uni Teheran eine Solidarisierungsdemo mit FINTA und gegen den Zwangshijab und mit Mitarbeiter*innen in Zuckerrohr- und Stahlfabriken. 2019 organisierten Studierende eine Demonstration unter der Parole “von Teheran nach Chile über den Irak kämpfen wir zusammen gegen den Neoliberalismus” und kritisierten hiermit offen die deutlich neoliberal ausgerichtete und ökonomisch unterdrückende Politik des islamischen Regimes. Kurdische Studierendenverbindungen sind darüber hinaus relevant, da kurdische Student*innen einen Großteil ihres Studiums in anderen Städten außerhalb der kurdischen Gebiete verbringen; bei ihnen liegt somit eine andere Verbundenheit mit den verschiedenen Menschen in Iran vor. 

        Im Rahmen der aktuellen Protestwelle im Iran spielen Student*innen wieder eine besondere Rolle. An der Sharif Universität in Teheran hatte es auf dem Campus am 02. Oktober 2022 eine friedliche Kundgebung gegeben, bei der mehrere Studentinnen verhaftet wurden. Der Campus wurde von Polizisten und Milizen umstellt, die Studentinnen eingekesselt und teilweise mit Schrotflinten beschossen. Der brutale Einsatz von Schusswaffen an dieser Eliteuniversität in Teheran sorgt für starke Empörung. Daraufhin forderten im Rahmen eines Protestes an der Firdausi-Universität in Mashhad, der zweitgrößten Stadt des Landes, Student*innen die Freilassung ihrer inhaftierten Kommiliton*innen. Immer wieder gelangen Fotos und Videos dieser mutigen Protestaktionen ins Netz, trotz des erschwerten Zugangs zum Internet. Die Solidarität der Studierenden mit den Demonstrant*innen besitzt das Potenzial zu einer Herausforderung für die Staatsmacht zu werden und muss daher unterstützt werden. Studierende sind gerade jetzt Bestandteil wichtiger Protestbewegungen im Iran, auch wenn ihre Proteste häufig isoliert voneinander stattfinden und nicht lange andauern. Immer häufiger jedoch schließen sie sich Demonstrant*innen auf der Straße an, übernehmen so immer häufiger eine führende Rolle im Widerstand gegen das islamische Regime. Die Studierenden sind dabei mit der Hoffnung getrieben, größere Veränderungen durch ihre Protestbewegungen erreichen zu können. Nehmen wir ihnen nicht diese Hoffnung, sondern unterstützen wir sie in ihrem Protest. Umso wichtiger ist der wissenschaftliche und studentische Austausch, wozu auch die Bereitstellung von Stipendien für iranische Student*innen gehört. Die geplanten Kürzungen beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) laufen damit genau in die falsche Richtung. Jungen Wissenschaftler*innen und Student*innen, vor allem jenen, die unter politischer Verfolgung leiden, muss der Weg an deutsche Universitäten offenstehen.  

        Unterdrückung und Bereicherung: Die Rolle der Revolutionsgarde 

        Die große Mehrheit der Iraner*innen leidet unter Armut und Perspektivlosigkeit. Viele Angehörige der Mittelschicht haben in den letzten Jahren erhebliche Wohlstandseinbußen erlitten, nicht zuletzt durch die enorme Inflation bei gleichzeitiger Knappheit zahlreicher Güter. Viele Menschen im Iran halten sich und ihre Familien mit mehreren Jobs nebeneinander über Wasser. Auf Teherans Straßen sieht man Kinder mit Bauchläden herumlaufen, die aus Not versuchen, etwas Geld für ihre Familien dazu zu verdienen. Besonders prekär ist die Lage für Geflüchtete, vor allem aus Afghanistan, die ohne Papiere im Land leben und von zahlreichen Diskriminierungen betroffen sind. Junge Akademiker*innen leiden trotz hervorragender Qualifikationen unter Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit. Wer kann, wandert aus, aber auch das setzt in der Regel erhebliche finanzielle Mittel voraus. Diese jungen Menschen haben eher Reform-orientierte Regierungen ebenso wie Hardliner-Regierungen erlebt und feststellen müssen, dass sich an ihrer Lage im Wesentlichen nichts ändert. Dass die Islamische Republik nicht reformierbar ist. Doch selbst in dieser prekären wirtschaftlichen Lage gibt es Gruppen, die profitieren und zum Teil enorme Vermögen anhäufen können. Die Angehörigen der Basidsch-Milizen, die aktuell zur Niederschlagung der Proteste eingesetzt werden, genießen als Teil des Repressionsapparats eine vergleichbar stabile finanzielle Lage. Insbesondere aber die Sepâh, die Iranische Revolutionsgarde, stellt die Brücke zwischen Gewaltherrschaft und wirtschaftlicher Bereicherung dar. Ihre Kernaufgabe ist es, gegen jede politische Opposition vorzugehen. Ehemalige Kommandeure der Revolutionsgarde besetzen zahlreiche Schlüsselpositionen in der iranischen Politik und Wirtschaft, organisieren zudem die illegalen Außenhandelsbeziehungen, um die internationalen Sanktionen zu umgehen und werden immer wieder mit Korruption im großen Stil in Verbindung gebracht. Zugleich ist die Sepâh der größte Unternehmer des Landes, hat von Privatisierungen ehemaliger Staatskonzerne profitiert und genießt Steuer- und Zollfreiheit. Zu den Wirtschaftsbereichen, in denen die Revolutionsgarde aktiv ist, zählen auch das Ölgeschäft sowie Häfen und Flughäfen. Auch auf die Medien nimmt die Revolutionsgarde Einfluss. Die Mitglieder der Revolutionsgarde sind mit der Islamischen Republik vermögend und einflussreich geworden, sie sind die zentrale Stütze des Regimes. Auch wenn die am 17.10.2022 beschlossenen EU-Sanktionen eine Untergruppe der Revolutionsgarde, die Basidsch-Milizen, sowie die sogenannte Sittenpolizei in den Blick nehmen, sparen sie doch die wirklich mächtige Organisation hinter der Diktatur aus. Die internationalen Sanktionen müssen endlich gegen die politische und wirtschaftliche Elite des Landes ausgerichtet werden und dazu zählt zweifellos die Revolutionsgarde. Gleichzeitig ist die Revolutionsgarde, vor allem die Al-Quds- Brigaden, der wichtigste Akteur in der aggressiven, destabilisierenden Außenpolitik Irans. Die USA stufen die Revolutionsgarde bereits als Terrororganisation ein. Die EU muss dieser Einschätzung endlich folgen. Solange die Angehörigen dieser Organisation von der Diktatur profitieren, werden sie die Diktatur stützen. 

        Die Architekten des Terrors 

        Am 3. Januar 2020 wurde Qasem Soleimani durch das US-Militär in Bagdad getötet. Der Iran antwortete mit martialischen Drohungen und Attacken auf US-amerikanische Militärbasen und mit dem unbeabsichtigten Abschuss eines Passagierflugzeugs. Das irakische Parlament forderte den Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak, was den iranischen Einfluss weiter stärken würde. Und auch in Deutschland herrschte vielerorts die Deutung vor, die USA seien für die neuerliche Eskalation im Konflikt mit dem Iran verantwortlich. Dabei kamen Krieg und Eskalation in der Region nicht erst mit dem Tod Soleimanis. Im Gegenteil: Soleimani war einer der Hauptverantwortlichen für das Sterben im Nahen Osten und an seiner Person lässt sich beispielhaft beschreiben, wie der Iran den Krieg in seinen Nachbarländern nicht nur vorangetrieben, sondern auch immer weiter entgrenzt hat. Qasem Soleimani war bis zu seinem Tod Kommandeur der Al-Quds-Brigaden und damit direkt dem iranischen Revolutionsführer und Staatsoberhaupt Ali Chamenei unterstellt. Er wurde als zweitmächtigster Mann des Irans gehandelt. Seine Brigaden, ein Teil der Iranischen Revolutionsgarde, dienen offiziell dem Export der Iranischen Revolution in der Region und bilden eine Spezialeinheit für extraterritoriale Aktionen. Ganz konkret heißt das, dass die Quds-Einheiten pro-iranische Milizen unter anderem in Syrien, im Irak, im Libanon, im Gazastreifen (Teile der Hamas und Islamischer Dschihad) und im Jemen mit Ausbildung, Waffen und Finanzierung unterstützen. Faktisch war Qasem Soleimani der Kommandeur eines ganzen Netzwerks aus iranischen Terroragenten im Ausland. Diese Stärkung und Steuerung von Milizen trägt zur Destabilisierung der Region bei und verhindert beispielsweise im Irak die Wiedererrichtung eines staatlichen Gewaltmonopols. Qasem Soleimani als Architekten des Terrors zu bezeichnen, ist keine propagandistische Deutung: Angriffe auf amerikanische Militärbasen, auf die US- Botschaft in Bagdad und auf Israel legen Zeugnis vom Terror ab, den das iranischen Expansionsstreben erzeugt. Der Iran will durch nicht-staatliche Milizen seine Nachbarländer unterwandern und eine Vormachtstellung in der Region erringen. Soleimani war der Kopf hinter dieser Strategie. Dabei werden die klassischen Regeln der Kriegsführung vom Iran ausgehebelt, der über nicht-staatliche Milizen nicht- staatliche Kriege führt. Von einem Iran, der seine Milizen zum Sturm auf die US- Botschaft aufhetzt und der unter dem fadenscheinigen Deckmantel verbündeter Terrororganisationen Israel beschießt. Von einem Iran, der als bewusste Strategie die Grenze zwischen Krieg und Frieden verwischt. Diese Strategie wurde von Qasem Soleimani perfektioniert. Eine Glaubwürdigkeit des Völkerrechts im Nahen Osten kann nur erreicht werden, wenn die verdeckte Kriegsführung des Irans und weiterer Staaten endet. 

        Statt jedoch das vom iranischen Hegemoniestreben verursachte Leid in den Fokus zu rücken, bedienten sich viele Medien in Deutschland eines etablierten Orientalismus: Die sogenannte „schiitische Welt“ trauerte um Soleimani. Es wurden Aufnahmen von Menschenmengen im Iran und Irak gezeigt, die „Tod Amerika“ und „Tod Israel“ forderten. Vergessen wurden die vielen tausend Menschen, die im Irak gegen den Einfluss des Iran und für die Souveränität ihres Staates demonstriert hatten (unabhängig von ihrer Konfession). Vergessen wurden auch die Demonstrant*innen im Iran, die damals (2019/20) ebenfalls gegen ein korruptes, islamistisches Regime und katastrophale Lebensbedingungen demonstriert hatten. Vor allem wurde vergessen, dass diese vielen Menschen unter Gefährdung ihres Lebens demonstriert hatten: Iranische Sicherheitskräfte und vom Iran gesteuerte Milizen im Irak töteten hunderte Demonstrant*innen, tausende wurden verletzt und verhaftet. Das iranische Regime tötet nicht nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen. Die aggressive Außenpolitik des Iran muss als solche benannt und vor allem die darunter leidenden Zivilist*innen in den Fokus gerückt werden. 

        Die gewalttätige Politik des iranischen Regimes macht sich nicht ausschließlich in unmittelbaren Nachbarländern des Iran bemerkbar. Der russische Präsident Putin, ein Verbündeter des iranischen Regimes, wird in seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine vom Iran unterstützt. Das russische Militär setzte bei den Angriffen auf die Zivilbevölkerung in Kyiv im Oktober 2022 iranische Kamikaze-Drohnen ein. Zudem bezieht Russland Kurzstreckenraketen vom Iran, mit denen ukrainische Städte beschossen werden können und füllt damit sein Raketenarsenal wieder auf. Hier steht eine Diktatur der anderen bei. Fest etabliert im Kanon der iranischen Propaganda ist außerdem der Al-Quds-Tag, der erstmals vom Revolutionsführer Chomeini ausgerufen wurde und seitdem in zahlreichen Ländern als Bühne für Hass gegen Israel und die USA dient. Das iranische Regime ist ein weltweiter Förderer für Antisemitismus – auch in Deutschland. Nicht ohne Grund schließen sich auch immer wieder Neonazis den Al-Quds-Märschen in Deutschland an. Der Iran verfolgt nach wie vor das Ziel, Israel auszulöschen und bettet diesen Antizionismus seit 1979 in eine Rhetorik des vermeintlich antiimperialistischen Befreiungskampfes ein. Israel ist für das iranische Regime nichts weiteres als ein Besatzungsregime und Vorposten des verhassten Westens, insbesondere der USA. Es überrascht nicht, dass Mahmud Ahmadineschad als iranischer Staatspräsident die Shoah leugnete. Seit der sogenannten Islamischen Revolution 1979 weigert sich das Regime, Israel anzuerkennen und steht damit Frieden und Stabilität im Nahen Osten entgegen. 

        Die Aufgabe der Bundesrepublik: Schutz vor dem iranischen Regime für Exil- Iraner*innen. 

        Der Alltag in der Islamischen Republik Iran ist geprägt durch Regeln, Verbote und Überwachung – sowie Repression und Verfolgung bei Missachtung. Aufgrund der anhaltenden brutalen Gewalt und der desaströsen Menschenrechtslage im Iran sind Abschiebungen dorthin nicht tragbar. Wir begrüßen die Initiative der Bundesinnenministerin, Abschiebungen in den Iran bis auf weiteres auszusetzen als ersten richtigen Schritt, fordern darüber hinaus aber einen dauerhaften Abschiebestopp in den Iran. 

        Doch alleine Abschiebungen zu stoppen reicht nicht aus. Wir fordern sichere Fluchtrouten und vereinfachte Einreisebestimmungen für iranische Staatsbürger*innen sowie einen vereinfachten Zugang zu Aufenthaltstiteln für Regime-Kritiker*innen. Gerade im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt und Verfolgung im Iran darf weder die Bundesregierung, noch die EU wegsehen – die Bundesrepublik, sowie die Mitgliedstaaten des Europarates sind durch die Istanbul Konvention zum Handeln verpflichtet. Die Bundesrepublik muss zum sicheren Hafen für Menschen werden, die vor dem theokratischen Regime fliehen oder sich für Demokratie und Menschenrechte im Iran einsetzen. 

        Anhänger*innen des iranischen Regimes und der iranische Auslandsgeheimdienst gefährden auch hier die Sicherheit von Exil-Iraner*innen, insbesondere wenn sie sich mit den Protesten solidarisieren und diese von hier aus unterstützen. Auch sie benötigen besonderen Schutz, denn es ist nicht hinnehmbar, dass die Rede- und Meinungsfreiheit sowie die Unversehrtheit von Leib und Leben von Exil-Iraner*innen durch das iranische Regime auf deutschem Staatsgebiet gefährdet wird. Es braucht dringend erhöhte Schutzmaßnahmen für Exil-Iraner*innen durch deutsche Sicherheitsbehörden, sowie die Einrichtung von Anlauf- und Meldestellen für Betroffene. 

        Um nachhaltig und solidarisch politisch zu handeln fordern wir, die iranische Zivilgesellschaft und Exil-Iraner*innen umfassend in die Prozesse rund um den politischen Umgang mit dem Iran miteinzubeziehen. Insbesondere die Perspektive von FINTA, LGBTIQ+, sowie Minderheiten ethnisch-religöser Gruppen muss direkt in die Prozesse mit einfließen, um Maßnahmen ergreifen zu können, die tatsächlich zielführend sind. 

        Internationale Konsequenzen einfordern und ziehen 

        Die Proteste im Iran, angeführt von mutigen FINTA, zeigen uns deutlich, wie dringend der Bedarf nach feministischer Außenpolitik ist. Die Bundesregierung hat sich dieser Politik in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet, daher fordern wir eine Abkehr vom Fokus auf kurzfristige, kapitalistische Interessen bei der Iran-Politik und stattdessen einen Fokus auf FINTA- und Menschenrechte. Dazu gehört auch, dass die Bundesrepublik die Dokumentation der FINTA- und Menschenrechtsverletzungen durch UN- Organisationen und weitere unabhängige internationale Menschenrechtsorganisationen mit Nachdruck fordert und sich an deren Umsetzung beteiligt, um eine spätere juristische Verurteilung sowie die lückenlose Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen möglich zu machen. 

        In Anbetracht der Lage im Iran halten wir die aktuelle Kommunikation sowohl der Bundesrepublik als auch der EU für zu leise. Befürchtungen, dass diese Zurückhaltung u.a. mit dem zurzeit auf Eis gelegten Atomabkommen zusammenhängen könnte, sind nicht bestätigt. Jedoch signalisierte insbesondere die EU seit 2018, in Folge der einseitigen US-amerikanischen Aufkündigung des Abkommens durch Donald Trump und den verbundenen US-Sanktionen gegen den Iran, immer wieder großes Interesse daran, das Abkommen zu reaktivieren. Immer mit dem Ziel verbunden, den Iran vom Bau einer Atombombe abzuhalten. Wir als SPD stehen für eine Welt ohne Atomwaffen ein. Daher teilen auch wir die Auffassung, dass das iranische Regime niemals über Atombomben verfügen darf. Die aktuelle Unterstützung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine durch iranische Kampfdrohnen, um kritische Infrastruktur und zivile Ziele zu attackieren, zeigt deutlich, dass das iranische Regime auch außerhalb der eigenen Staatsgrenzen nicht vor menschenverachtender und völkerrechtswidriger Gewalt zurückschreckt. Die notwendige Reaktivierung des Atomabkommens darf nicht auf dem Rücken der feministisch-revolutionären Zivilgesellschaft im Iran ausgetragen werden. Vielmehr muss das Ziel verfolgt werden, diese Protestbewegung dabei zu unterstützen, nach dem Fall der Theokratie zukünftig mit neuen iranischen Staatsvertreter*innen ein nachhaltiges Atomabkommen zu schließen. 

        „Für die Sehnsucht nach einem normalen Leben, für Tanzen auf den Straßen, für Küssen ohne Angst” 

        Das sind Zeilen aus einem Song, der zur inoffiziellen Hymne der Protestbewegung im Iran geworden ist. Der Urheber des Liedes, Scherwin Hadschipur, wurde daraufhin vom Geheimdienst verhaftet und zu einer Distanzierung von seinem Lied gezwungen. Nichtsdestoweniger vermittelt der Text das Lebensgefühl vor allem junger Menschen im Iran, die von Freund*innen, Familie oder aus den Medien durchaus wissen, dass ein Leben in Freiheit möglich ist. Die nicht länger bereit sind, sich diese Freiheit von einem korrupten, gewalttätigen und patriarchalen System nehmen zu lassen. Um diesen Kampf zu gewinnen, brauchen sie mehr als nur unsere symbolische Solidarität. Von der Bundesregierung erwarten wir, dass sie ihren Ankündigungen der feministischen Außenpolitik jetzt Taten folgen lässt! 

        Empfehlung der Antragskommission:
        Annahme
        Version der Antragskommission:

        Adressat:

        SPD-Bundestagsfraktion

        Beschluss: Jin, Jiyan, Azadi! Solidarität mit den Protesten im Iran! Kampf dem Mullah-Regime!
        Text des Beschlusses:

        „Das ist der Beginn einer Revolution“ 

        Am 16. September 2022 starb Jina (Mahsa) Amini in einem Teheraner Krankenhaus. Drei Tage zuvor war sie von der Gašt-e eršād, der sogenannten “Sittenpolizei”, festgenommen worden, weil sie den Hidschab angeblich nicht vorschriftsgemäß trug. Augenzeug*innen beobachteten, wie die “Sittenpolizei” Amini schlug. Die 22-Jährige überlebte diese Festnahme nicht. Amini war eine von unzähligen FINTA, die von der Gašt-e eršād wegen ihrer Kleidung verhaftet, schikaniert und unterdrückt werden. Gerade deshalb wurde sie in kürzester Zeit zu einem Symbol: Seit ihrem Tod rollt eine Protestwelle durch den Iran. Tausende gehen auf die Straße, vor allem am Abend oder in der Nacht und demonstrieren gegen ein korruptes und patriarchales Regime. Obwohl diese Proteste im Ausland – auch in Deutschland – immer weniger Aufmerksamkeit finden, geht der Kampf der Iraner*innen für ihre Freiheit weiter. Um diesen Kampf zu gewinnen, brauchen sie mehr als nur unsere symbolische Solidarität. Das iranische Regime nutzt die geringe internationale Aufmerksamkeit, um besonders brutal gegen jede Opposition vorzugehen. Von der Bundesregierung erwarten wir, dass sie ihren Ankündigungen der feministischen Außenpolitik jetzt Taten folgen lässt! Auch ein Jahr nach dem Tod von Jina (Mahsa) Amini dürfen wir die feministische Revolution im Iran nicht vergessen! 

        Wir fordern deshalb:

        • das Ende der Gewalt gegen die Demonstrant*innen und Oppositionelle im Iran. 
        • umfassende Sanktionen gegen den Unterdrückungsapparat des iranischen Regimes und diejenigen, die davon profitieren. Die bisherigen EU-Maßnahmen, die unter anderem gegen die Gašt-e eršād (“Sittenpolizei”) sowie die Basidsch-Milizen gerichtet sind, sind ein richtige Schritte. Die Liste der sanktionierten Personen und Organisationen muss jedoch deutlich ausgeweitet werden. So müssen auch die Revolutionsgarde, die mit ihnen verbundenen Unternehmen und Vermögenswerte sowie die obersten Machthaber im Iran in den Fokus der Sanktionen rücken. Denn bei aller Unterdrückung und Armut im Iran, die Angehörigen der Elite und ihre Angehörigen genießen nach wie vor Freiheiten, die sie anderen verwehren, sowie zum Teil enormen Wohlstand. Das zeigte sich erst kürzlich, als der sogenannte “Todesrichter” Hussein-Ali Najeri verschiedenen Berichten zufolge in der Privatklinik INI in Hannover behandelt wurde. Diese Mobilität und Straffreiheit des iranischen Regimes muss der Vergangenheit angehören!
        • die Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste zu setzen.
        • das Ende der einseitigen Fokussierung auf die Atom-Verhandlungen. Die notwendige Reaktivierung des Atomabkommens darf nicht auf dem Rücken der feministisch-revolutionären Zivilgesellschaft im Iran ausgetragen werden. Iranische Oppositionelle fürchten nicht ohne Grund, dass der EU, insbesondere Deutschland, ein Erfolg in den Atom-Verhandlungen wichtiger ist als ein entschlossenes Vorgehen gegen das iranische Regime. Für uns ist klar: Mit einem Regime, das feministische und demokratische Proteste gewaltsam niederschlägt, kann kein verlässliches Abkommen geschlossen werden. Zwingende Voraussetzung für erneute Verhandlungen mit neuen Regierungen muss deshalb sein, dass verbindliche Zusagen zum Ende der Gewalt gegenüber und die Anerkennung grundlegender Freiheiten von FINTA erfolgen und dahingehende Fortschritte zu beobachten sind. Der internationale Einsatz für FINTA ist im Rahmen von feministischer Außenpolitik nicht verhandelbar.
        • ein entschlossenes Vorgehen auch gegen die konventionelle Aufrüstung im Iran, insbesondere das Mittelstreckenraketenprogramm, das bislang nicht im Atomabkommen enthalten war und eine enorme Bedrohung für Israel darstellt. Diese konventionelle Rüstung darf nicht länger ausgeklammert werden.
        • einen Stopp der Zusammenarbeit aller staatlichen Stellen mit Vereinen und Institutionen, die dem iranischen Regime nahestehen. Das betrifft unter anderem das Islamische Zentrum Hamburg.
        • ein entschlossenes Vorgehen gegen Ableger des iranischen Regimes in Deutschland wie die Organisator*innen der antisemitischen Al-Quds-Märsche.
        • dass das Angebot der Deutschen Welle auf Farsi ausgebaut wird, um Iraner*innen den Zugang zu politischen Informationen jenseits der staatlichen Zensur zu erleichtern.
        • die Demonstrant*innen beim Zugang zum Internet zu unterstützen. Dabei reicht es nicht, wenn Privatpersonen aus dem Ausland versuchen zu helfen. Der Zugang zum Internet ist ein zentraler Bestandteil der Proteste und muss deshalb in Deutschland von staatlicher Seite unterstützt werden. Eine Maßnahme dafür ist die Einrichtung eines staatlich finanzierten Fonds für digitale Freiheit, der die Wartung, Weiterentwicklung und Verbreitung von digitalen, quelloffenen Werkzeugen für verschlüsselte Kommunikation und zur Umgehung von Zensur fördert.
        • sichere Fluchtrouten sowie eine erleichterte Einreise in die EU für Iraner*innen. Das betrifft Asylverfahren ebenso wie die Vergabe von Visa. Die Zeiten, in denen vor allem junge Iraner*innen kein deutsches Visum bekommen haben, müssen endlich vorbei sein.
        • erhöhte Schutzmaßnahmen für Exil-Iraner*innen durch deutsche Sicherheitsbehörden, sowie die Einrichtung von Anlauf- und Meldestellen für Betroffene.
        • einen dauerhaften Abschiebestopp in den Iran
        • dass sich die SPD den vielerorts stattfindenden Demonstrationen gegen das iranische Regime anschließt.
        • das Ende der Diskriminierung von FINTA, ethnischen Minderheiten, Angehörigen der LGBTQIA+ Community und anderer marginalisierter Gruppen im Iran, die Freilassung aller politischen Gefangenen und wie von den Protestierenden stets gefordert, die Durchführung eines freien Referendums über die Zukunft des Iran.
              Beschluss-PDF:
              Überweisungs-PDF: