R-06 Gemeinsam für eine wirklich solidarische Asylpolitik: Unsere Forderungen zur GEAS-Reform

Status:
Annahme

Das individuelle Recht auf Asyl ist unter anderem eine Lehre aus der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands. Als Sozialdemokrat*innen stehen wir fest zu diesem grundgesetzlich verbrieften Recht und wir stehen dafür ein, Schutzsuchenden Schutz zu bieten, wie wir es beispielsweise im Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine gezeigt haben. Vorschläge, das Asylrecht einzuschränken, wie sie zuletzt von der CDU zu hören waren, lehnen wir entschieden ab. 

Deutschland als Teil der Europäischen Union hat sich zu dem Europäischen Asylrecht gemäß Artikel 78 des Vertrages von Lissabon verpflichtet. Leider ist es bisher nicht gelungen, die notwendigen neuen gemeinsamen Gesetzgebung zu beschließen.  Wir teilen eine gemeinsame Außengrenze, über viele Jahre hinweg war es aber nicht möglich, das dysfunktionale europäische Dublin-System gemeinsam zu reformieren. In der EU gibt es zu viele nationale Regierungen, die rechts bis rechtsextrem ausgerichtet sind und mit denen eine progressive europäische Asylpolitik nicht zu realisieren ist. Dieses Problem zeigt sich auch bei den Beschlüssen der EU-Innenminister*innen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Nach schwierigen Verhandlungen haben die EU-Innenminister*innen zumindest ihre Position zu den notwendigen Gesetzen beschlossen und zwar mit Mehrheit gegen Ungarn und Polen, die eine menschenwürdige Asyl- und Migrationspolitik ablehnen. Auch wenn die Bundesregierung nicht alle Forderungen in dem Beschluss durchsetzen konnte und wir als Sozialdemokrat*innen Änderungen daran anstreben, erkennen wir an, dass dieser Beschluss nun die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament ermöglicht. Das Europäische Parlament hat seinen progressiveren Standpunkt zu den neuen Asyl- und Migrationsgesetzen bereits im April beschlossen. Gemeinsam mit den sozialdemokratischen Abgeordneten im Europäischen Parlament setzen wir deshalb darauf, im Trilog zur GEAS-Reform einige zentrale Verbesserungen am Entwurf des Minister*innenrats durchzusetzen. 

Wir fordern deshalb: 

  • Keine Durchführung von Asyl-Schnellverfahren unter haftähnlichen Bedingungen an der EU-Außengrenze. Falls das Grenzverfahren letztlich dennoch Teil der Reform sein sollte, muss es auf wenige Ausnahmefälle beschränkt werden. Außerdem, müssen die Sozialdemokrat*innen im Europäischen Parlament zumindest die menschenwürdige Unterbringung sowie die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren zur Bedingung machen. Dazu gehört auch der Zugang zu rechtlicher Beratung sowie die Möglichkeit Widerspruch gegen einen negativen Bescheid einzulegen. Entsprechende Maßnahmen zur Sicherstellung der Wahrung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit müssen dabei stets einer strengen Kontrolle unterliegen, sodass die Einhaltung sicher ist. Wenn die Bedingungen nicht mehr gegeben sind, muss das Grenzverfahren eingestellt werden. 
  • Keine Abschiebung in Transitländer sowie Staaten, die die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert haben. Sichere Drittstaaten können optional nur Länder sein, zu denen es eine ernsthafte Verbindung – wie früherer Wohnsitz – gibt. Zudem muss der Zugang zum Arbeitsmarkt, Bildung und Gesundheitsversorgung gegeben sein. 
  • Keine Schutzsuchenden, die jünger als 18 Jahre sind, sowie ihre Begleitpersonen müssen eindeutig von einem Grenzverfahren ausgeschlossen sein. Es dürfen keine Familien mit Kindern getrennt werden. 
  • Es soll keine verpflichtende Unzulässigkeitsprüfung von Asylanträgen geben, die eine Prüfung aufgrund der Begründetheit ausschließt.
  • Weiterhin eine klare Ablehnung des sogenannten Ruanda-Modells”, also Abkommen mit Staaten wie Ruanda, um gegen Geldzahlungen dorthin Geflüchtete abzuschieben, die keinen Bezug zum Land haben. Wir brauchen einen durchsetzungsfähigen Solidaritätsmechanismus, der sicherstellt, dass alle Mitgliedstaaten sich solidarisch an Unterstützungsmaßnahmen beteiligen. Es muss sichergestellt werden, dass finanzielle Leistungen, die von Mitgliedstaaten als Ersatz für die Aufnahme von Geflüchteten gezahlt werden, nicht für Abschottungsmaßnahmen genutzt werden dürfen. Stattdessen sollen sie der Unterbringung und Integration von Geflüchteten in der EU und der Seenotrettung zugutekommen.
  • Eine staatliche Seenotrettung im Mittelmeer. Wenn das nicht mit allen EU-Staaten möglich ist, muss diese Seenotrettungsmission nur mit einem Teil der Mitgliedstaaten gebildet werden.
  • Kompromisslose Ahndung von völkerrechtswidrigen Pushbacks und Sanktionierung von EU-Staaten, die Pushbacks legalisieren (wie bspw. Litauen). Ein Grundrechte-Monitoring-Mechanismus zu Grundrechtsverletzungen an den Außengrenzen muss umgesetzt werden. Damit einhergehend eine konsequente Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen durch oder unter Beteiligung von Frontex (und angeschlossenen Organisationen) mit entsprechenden Konsequenzen für die Agentur. Wir setzen uns weiterhin für die Auflösung von Frontex ein.
  • Ergänzend zu den jetzt diskutierten fünf EU-Gesetzgebungen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) brauchen wir dringend weitere Regelung zur regulären Einwanderung analog zu dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und eine klar geregelte Bleibeperspektive für geduldete Flüchtlinge analog dem deutschen Chancen-Aufenthaltsrecht.
    Begründung:

    Der derzeitige Beschluss der EU-Innenminister*innen und die Zustimmung des Deutschen Bundestages zur GEAS-Reform haben uns in Schock versetzt. Von haftähnlichen Lagern an den EU-Außengrenzen, über Abkommen mit Tunesien, bis zu Abschiebungen von Familien mit Kindern. Von Wir wollen die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen beenden.” aus dem Koalitionsvertrag der Fortschrittskoaltion” kann keine Rede mehr sein. Mit der deutschen Zustimmung zu den Plänen der EU-Kommission und dem damit einhergehenden Widerspruch zum Koalitionsvertrag und dem Beschluss der Bund und Länder beim Flüchtlingsgipfel am 10. Mai 2023, bei dem weitere Verschärfungen des Asylrechts, wie unter anderem eine Ausweitung der Abschiebehaft beschlossen wurde, setzt die SPD-Innenministerin den restriktiven Kurs des früheren Innenministers Seehofers fort. Diesen hatte die SPD in der vergangenen Koalition noch scharf kritisiert. Mit der Zustimmung zu GEAS widerspricht die SPD sich und dem Beschluss des SPD-Parteivorstandes für eine humane und von Solidarität geprägte sowie solidarische europäische Flüchtlingspolitik.

    In den vergangenen zehn Jahren sind mehr als 26.000 Menschen auf der Flucht nach Europa an den europäischen Außengrenzen gestorben oder gelten seither als vermisst. Diejenigen Schutzsuchenden, die es in die Europäische Union geschafft haben, und unendliches Leid auf ihrem Weg für ein hoffentlich besseres Leben erfahren haben, sollen nicht noch mehr Leid erfahren und über Monate in Lagern, wie wir sie bereits aus Moria und Lesbos kennen, untergebracht werden.

    Insbesondere durch den Bau neuer Grenzzäune, dem EU-Türkei-Deal, der Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache und der Behinderung der Seenotrettung, illegalen Pushbacks im Mittelmeer und der Errichtung von geschlossenen Lagern auf Griechenland, treiben die EU und ihre Mitgliedsstaaten die europäische Abschottungspolitik und Entrechtung von Schutzsuchenden voran.

    Die Freude, mit der die Einigung der EU-Innenminister*innen zum Teil begrüßt wurde (historische Einigung”, Nancy Faeser), können wir Jusos nicht teilen. Eine europäische Lösung ist für uns kein Selbstzweck. Europäische Standards, die niedrigere Schutzstandards, die mehr Lager und weniger Rechtsstaatlichkeit bedeuten, sind für uns nicht erstrebenswert. Wir sehen nicht, dass die GEAS-Reformpläne, wie sie die EU-Innenminister*innen beschlossen haben, im Sinne einer menschenwürdigen Asylpolitik wirken werden. Dennoch sehen wir, dass sich die Reform im Grundsatz nicht verhindern lässt und dass die Mehrheiten in der EU nur begrenztes Verbesserungspotential bieten. Wir setzen darauf, dass das Europäische Parlament im Trilog dennoch Verbesserungen der Reform durchsetzen kann und wollen daran gemeinsam mit den sozialdemokratischen Europaabgeordneten arbeiten. Von unseren grundsätzlichen Forderungen für eine humanitäre Asylpolitik rücken wir nicht ab, aber wir wollen für die gegenwärtigen Reformbemühungen dennoch die Verbesserungen durchsetzen, die möglich sind. 

    Empfehlung der Antragskommission:
    Annahme
    Version der Antragskommission:

    Adressat:

    SPD-Bundestagsfraktion

    SPE-Fraktion

    Beschluss: Gemeinsam für eine wirklich solidarische Asylpolitik: Unsere Forderungen zur GEAS-Reform
    Text des Beschlusses:

    Das individuelle Recht auf Asyl ist unter anderem eine Lehre aus der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands. Als Sozialdemokrat*innen stehen wir fest zu diesem grundgesetzlich verbrieften Recht und wir stehen dafür ein, Schutzsuchenden Schutz zu bieten, wie wir es beispielsweise im Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine gezeigt haben. Vorschläge, das Asylrecht einzuschränken, wie sie zuletzt von der CDU zu hören waren, lehnen wir entschieden ab. 

    Deutschland als Teil der Europäischen Union hat sich zu dem Europäischen Asylrecht gemäß Artikel 78 des Vertrages von Lissabon verpflichtet. Leider ist es bisher nicht gelungen, die notwendigen neuen gemeinsamen Gesetzgebung zu beschließen.  Wir teilen eine gemeinsame Außengrenze, über viele Jahre hinweg war es aber nicht möglich, das dysfunktionale europäische Dublin-System gemeinsam zu reformieren. In der EU gibt es zu viele nationale Regierungen, die rechts bis rechtsextrem ausgerichtet sind und mit denen eine progressive europäische Asylpolitik nicht zu realisieren ist. Dieses Problem zeigt sich auch bei den Beschlüssen der EU-Innenminister*innen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Nach schwierigen Verhandlungen haben die EU-Innenminister*innen zumindest ihre Position zu den notwendigen Gesetzen beschlossen und zwar mit Mehrheit gegen Ungarn und Polen, die eine menschenwürdige Asyl- und Migrationspolitik ablehnen. Auch wenn die Bundesregierung nicht alle Forderungen in dem Beschluss durchsetzen konnte und wir als Sozialdemokrat*innen Änderungen daran anstreben, erkennen wir an, dass dieser Beschluss nun die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament ermöglicht. Das Europäische Parlament hat seinen progressiveren Standpunkt zu den neuen Asyl- und Migrationsgesetzen bereits im April beschlossen. Gemeinsam mit den sozialdemokratischen Abgeordneten im Europäischen Parlament setzen wir deshalb darauf, im Trilog zur GEAS-Reform einige zentrale Verbesserungen am Entwurf des Minister*innenrats durchzusetzen. 

    Wir fordern deshalb: 

    • Keine Durchführung von Asyl-Schnellverfahren unter haftähnlichen Bedingungen an der EU-Außengrenze. Falls das Grenzverfahren letztlich dennoch Teil der Reform sein sollte, muss es auf wenige Ausnahmefälle beschränkt werden. Außerdem, müssen die Sozialdemokrat*innen im Europäischen Parlament zumindest die menschenwürdige Unterbringung sowie die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren zur Bedingung machen. Dazu gehört auch der Zugang zu rechtlicher Beratung sowie die Möglichkeit Widerspruch gegen einen negativen Bescheid einzulegen. Entsprechende Maßnahmen zur Sicherstellung der Wahrung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit müssen dabei stets einer strengen Kontrolle unterliegen, sodass die Einhaltung sicher ist. Wenn die Bedingungen nicht mehr gegeben sind, muss das Grenzverfahren eingestellt werden. 
    • Keine Abschiebung in Transitländer sowie Staaten, die die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert haben. Sichere Drittstaaten können optional nur Länder sein, zu denen es eine ernsthafte Verbindung – wie früherer Wohnsitz – gibt. Zudem muss der Zugang zum Arbeitsmarkt, Bildung und Gesundheitsversorgung gegeben sein. 
    • Keine Schutzsuchenden, die jünger als 18 Jahre sind, sowie ihre Begleitpersonen müssen eindeutig von einem Grenzverfahren ausgeschlossen sein. Es dürfen keine Familien mit Kindern getrennt werden. 
    • Es soll keine verpflichtende Unzulässigkeitsprüfung von Asylanträgen geben, die eine Prüfung aufgrund der Begründetheit ausschließt.
    • Weiterhin eine klare Ablehnung des sogenannten Ruanda-Modells”, also Abkommen mit Staaten wie Ruanda, um gegen Geldzahlungen dorthin Geflüchtete abzuschieben, die keinen Bezug zum Land haben. Wir brauchen einen durchsetzungsfähigen Solidaritätsmechanismus, der sicherstellt, dass alle Mitgliedstaaten sich solidarisch an Unterstützungsmaßnahmen beteiligen. Es muss sichergestellt werden, dass finanzielle Leistungen, die von Mitgliedstaaten als Ersatz für die Aufnahme von Geflüchteten gezahlt werden, nicht für Abschottungsmaßnahmen genutzt werden dürfen. Stattdessen sollen sie der Unterbringung und Integration von Geflüchteten in der EU und der Seenotrettung zugutekommen.
    • Eine staatliche Seenotrettung im Mittelmeer. Wenn das nicht mit allen EU-Staaten möglich ist, muss diese Seenotrettungsmission nur mit einem Teil der Mitgliedstaaten gebildet werden.
    • Kompromisslose Ahndung von völkerrechtswidrigen Pushbacks und Sanktionierung von EU-Staaten, die Pushbacks legalisieren (wie bspw. Litauen). Ein Grundrechte-Monitoring-Mechanismus zu Grundrechtsverletzungen an den Außengrenzen muss umgesetzt werden. Damit einhergehend eine konsequente Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen durch oder unter Beteiligung von Frontex (und angeschlossenen Organisationen) mit entsprechenden Konsequenzen für die Agentur. Wir setzen uns weiterhin für die Auflösung von Frontex ein.
    • Ergänzend zu den jetzt diskutierten fünf EU-Gesetzgebungen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) brauchen wir dringend weitere Regelung zur regulären Einwanderung analog zu dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und eine klar geregelte Bleibeperspektive für geduldete Flüchtlinge analog dem deutschen Chancen-Aufenthaltsrecht.
      Beschluss-PDF:
      Überweisungs-PDF: