Ge-03 Familie 2.0 – Zusammenleben neu denken

Status:
Annahme

Die Formen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft sind in den letzten Jahrzehnten immer vielfältiger geworden. Die klassische Ehe sowie das Verständnis von Familie bestehend aus „Vater, Mutter, Kind“ ist längst nur noch eines von vielen Modellen des Zusammenlebens. Während sich die Gesellschaft und unser Blick auf Familie gewandelt haben, bezieht sich die Gesetzeslage noch immer auf ein Familienbild der 1960er Jahre. Das Familienrecht muss endlich an die Lebenswirklichkeit des 21. Jahrhunderts angepasst werden! Das ist auch die Aufgabe der SPD-geführten Fortschrittskoalition.  

Wir fordern deshalb: 

  • die Reformierung des Familienrechts unter Abkehr vom ehezentrischen Familienbild und unter Berücksichtigung queerer Lebensweisen 
  • die Schaffung einer stufenbasierten Lebensgemeinschaft aus zwei oder mehreren Personen, die die Ehe im klassischen Sinne perspektivisch ersetzen soll 
  • die Verankerung eines modernen Familienbildes im Grundgesetz 
  • bessere Aufklärung über die Rechtsfolgen einer Ehe bzw. stufenbasierten Lebensgemeinschaft sowie der Möglichkeit der vertraglichen Regelung nach eigenen Vorstellungen 
  • die Reformierung der Reproduktionsmedizin, insbesondere mit Blick auf die Legalisierung der Eizellspende und Leihmutterschaft 
  • die Anerkennung und Regelung der Mehrelternschaft 

Ob queere Paare, Senior*innen, die füreinander Verantwortung übernehmen wollen ohne eine Ehe zu schließen oder Familien mit Mehrelternschaft: Wir wollen, dass diese Vielfalt des Zusammenlebens endlich eine gesetzliche Grundlage bekommt!  

Begründung:

Der Begriff der Familie ist so variabel und wandelbar, wie es die Gesellschaft ist. Gerade die Gesellschaft prägt mit ihren Werten und Normen dieses Bild. Die meisten Menschen tragen trotz des Fortschreitens unserer Gesellschaft nach wie vor ein traditionelles Familienbild der 50er und 60er Jahre als Schablone mit sich herum und definieren den Begriff der Familie immer noch im Lichte dieser Schablone, obwohl sie subjektiv etwas ganz anderes wollen. Ein entscheidender Grund hierfür ist, dass die deutsche Gesetzgebung in diesem Bereich gar nicht oder nur sehr schleppend voranschreitet. Wie soll eine Gesellschaft moderne Familienkonstrukte verinnerlichen und akzeptieren, wenn die Rechtsordnung suggeriert, dass die traditionelle Vater-Mutter-Kind-Idee der Maßstab sei? Die Gesetzgebung muss endlich anfangen der Variabilität des Familienbegriffs gerecht zu werden und eine Reform des Familienrechts anstreben.

Ehe ist out – Wir bestimmen über unser Zusammenleben 

Insbesondere die jüngeren Generationen entfernen sich nach und nach von dem Konstrukt der klassischen Ehe. Ein Großteil junger Menschen kann sich eine Eheschließung nach heutigem Verständnis nicht mehr vorstellen. Die Ehe ist nicht mehr zeitgemäß und bildet nicht die Vielfalt an Beziehungen ab, die es in unserer Gesellschaft gibt. Dabei sollte sich doch das Recht an die Bedürfnisse und Vorstellungen der Gesellschaft mit Blick auf das Zusammenleben anpassen und nicht andersrum. Die unterschiedlichsten Arten an Beziehungen und gemeinsamen Zusammenleben sind bereits heute Realität und müssen durch die Gesetzgebung anerkannt und in einen rechtlichen Rahmen gegossen werden, ohne die eine als grundsätzlich „besser“ zu labeln.

Die von der Ampel im Koalitionsvertrag aufgeführte Verantwortungsgemeinschaft kann dabei als Grundlage genommen werden, muss im Kern jedoch konsequenter ausgestaltet werden und sollte nicht unter der Ehe im klassischen Sinn stehen – sie soll perspektivisch die klassische Ehe als aus der Zeit gefallenes Konstrukt ersetzen. Aus der Sicht einer modernen Gesellschaft rechtfertigt nichts die rechtliche Besserstellung einer Ehe im klassischen Sinne. 

Jede*r sollte sich also eine für sich passende Form des Zusammenlebens aussuchen können, die gesetzlich anzuerkennen ist und sollte sich nicht in starre traditionelle Muster hineinzwängen müssen. Hierfür kann ein mehrstufiges System die Lösung sein, das aufsteigend an Verantwortung füreinander gewinnen soll und durch mindestens zwei oder mehrere volljährige Personen geschlossen werden kann. Möchten Personen – wie z. B. die oft angeführten Seniorengemeinschaften – zwar Verantwortung in Form von gegenseitigen Auskunfts- und Vertretungsrechten übernehmen, aber keine weitergehenden Rechte und Pflichten begründen, kann dies auf der ersten Stufe möglich sein. Auf den folgenden Stufen sollen aufsteigend Pflege- und Fürsorgepflichten, die Möglichkeit einer Zugewinngemeinschaft und der damit verbundene Vermögensausgleich bei Auflösung sowie steuerliche Vorteile hinzukommen. Auch ein Zeugnisverweigerungsrecht soll entstehen. Letztlich müssten mit Blick auf die perspektivische Ersetzung der klassischen Ehe auch kinder- und namensrechtliche Belange, aufenthaltsrechtliche Regelungen sowie die gesetzliche Erbenstellung mitgedacht werden. Eine Änderung der Verfassung ist dabei perspektivisch unausweichlich, aber ohnehin nötig. Die verfassungsrechtliche Besserstellung der klassischen Ehe ist mit dem heutigen modernen Verständnis des Zusammenlebens nicht vereinbar.

Aufklärung als Voraussetzung des selbstbestimmten Zusammenlebens 

Damit jede*r die für sich beste Form des Zusammenlebens findet, ist es Sache des Staates und seiner Einrichtungen auch jetzt schon ehewillige Personen über die rechtlichen Folgen einer Ehe aber vor allem auch perspektivisch über die Folge einer oben beschriebenen stufenbasierten Lebensgemeinschaft aufzuklären. Viele Menschen wissen nicht, welche rechtlichen Folgen mit einer Eheschließung einhergehen und diese auch vertraglich angepasst werden können. Hier könnten freiwillige Beratungsgespräche durch staatliche Stellen oder zumindest die Förderung ziviler Beratungsstellen sowie der Hinweis auf diese helfen. Auch gibt es bereits jetzt Infomaterialien des Bundesjustizministeriums, die bei entsprechenden Absichten einfacher zur Verfügung gestellt werden könnten. Der Weg zum Rechtsanwalt sollte nicht die Bedingung sein, um vernünftig über die Folgen der Eheschließung bzw. perspektivisch der Eingehung einer stufenbasierten Lebensgemeinschaft aufgeklärt zu werden. 

Abstammungsrecht im Lichte einer queeren Gesellschaft 

Wenn man an das Thema Familie denkt, darf das Abstammungsrecht nicht vergessen werden. Queeren Paaren muss es erleichtert werden eine eigene Familie gründen und ihre eigenen Vorstellungen einer Familie verwirklichen zu können, ohne durch gesetzliche Regelungen oder behördliche Praktiken diskriminiert zu werden. Hierbei zu nennen ist einerseits ein geschlechtsunabhängiges Abstammungsrecht. Teil dieser Idee ist die sog. Mitmutterschaft, die in § 1592 BGB gleichheitswidrig ausgeklammert wird. Diese muss dringend angepasst werden. Gleiches gilt für die Anerkennung von intergeschlechtlichen Personen als Elternteil. Zum einen haben inter* Personen, die den Geschlechtseintrag „divers“ tragen, dieselben Probleme wie die Mitmütter in der oben genannten Konstellation, sodass auch sie in einer Anpassung des § 1592 BGB nicht vergessen werden dürfen. Auch werden inter* Elternteile sprachlich nicht berücksichtigt. Hier könnte bspw. der Begriff „Elter“ Abhilfe schaffen. Die Verwaltungssprache gilt es hier anzupassen. Weiterhin sollten queere Paare nicht nur auf die Möglichkeit einer Adoption beschränkt sein. Eine Reformierung der Reproduktionsmedizin ist dabei unumgänglich. Die (altruistische) Leihmutterschaft sowie die Eizellspende müssen endlich ermöglicht und entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. 

Mehrelternschaft ist Realität 

Um all dem gerecht zu werden, müssen auch die rechtlichen Bedingungen für eine Mehrelternschaft geschaffen. Kinder können mehr als zwei Elternteile haben, was den allermeisten bereit aus Stieffamilien bekannt ist. Nimmt man nun die Reproduktionsmedizin mit ins Boot, kann man schnell auf bis zu fünf Elternteile kommen. Das deutsche Recht erkennt bisher nur zwei Elternteile an. Dies wird der heutigen Situation in den verschiedensten Familien nicht mehr gerecht und führt dazu, dass soziale Elternteile beispielsweise keinerlei Möglichkeit haben Auskunft bei Krankenhausaufenthalten zu erlangen. Hier ist die Gesetzgebung in der Pflicht mit Blick auf ein modernes Familienrecht auch diese Problematik anzugehen. 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme
Version der Antragskommission:

Der Bezirksparteitag in Hildesheim (Oktober 2021) hatte den Bezirksvorstand beauftragt, sich dem Thema Familie 2.0 zu widmen. Gemeinsam mit den Arbeitsgemeinschaft fand eine Veranstaltung statt, aus der die hier dargestellten Forderungen resuliteren.

Adressat:

SPD-Bundestagsfraktion

Beschluss: Familie 2.0 – Zusammenleben neu denken
Text des Beschlusses:

Die Formen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft sind in den letzten Jahrzehnten immer vielfältiger geworden. Die klassische Ehe sowie das Verständnis von Familie bestehend aus „Vater, Mutter, Kind“ ist längst nur noch eines von vielen Modellen des Zusammenlebens. Während sich die Gesellschaft und unser Blick auf Familie gewandelt haben, bezieht sich die Gesetzeslage noch immer auf ein Familienbild der 1960er Jahre. Das Familienrecht muss endlich an die Lebenswirklichkeit des 21. Jahrhunderts angepasst werden! Das ist auch die Aufgabe der SPD-geführten Fortschrittskoalition.  

Wir fordern deshalb: 

  • die Reformierung des Familienrechts unter Abkehr vom ehezentrischen Familienbild und unter Berücksichtigung queerer Lebensweisen 
  • die Schaffung einer stufenbasierten Lebensgemeinschaft aus zwei oder mehreren Personen, die die Ehe im klassischen Sinne perspektivisch ersetzen soll 
  • die Verankerung eines modernen Familienbildes im Grundgesetz 
  • bessere Aufklärung über die Rechtsfolgen einer Ehe bzw. stufenbasierten Lebensgemeinschaft sowie der Möglichkeit der vertraglichen Regelung nach eigenen Vorstellungen 
  • die Reformierung der Reproduktionsmedizin, insbesondere mit Blick auf die Legalisierung der Eizellspende und Leihmutterschaft 
  • die Anerkennung und Regelung der Mehrelternschaft 

Ob queere Paare, Senior*innen, die füreinander Verantwortung übernehmen wollen ohne eine Ehe zu schließen oder Familien mit Mehrelternschaft: Wir wollen, dass diese Vielfalt des Zusammenlebens endlich eine gesetzliche Grundlage bekommt!  

Beschluss-PDF:
Überweisungs-PDF: