Dienstjahr, Deutschlandjahr, Pflichtdienst: Immer wieder wird uns alter Wein in neuen Schläuchen serviert. Zuletzt waren es einzelne Bundestagsabgeordnete, die einen dreimonatigen sozialen Pflichtdienst gefordert haben, und damit auf den Wagen von unserem Bundespräsidenten sprang, der zuvor öffentlich eine soziale Pflichtzeit zur Debatte stellte und dabei vom Militärdienst bis zur Betreuung von Senior*innen eine Bandbreite an möglichen Pflichttätigkeiten für junge Menschen aufzählte.
Dieser Vorschlag ist nicht neu. Vor vier Jahren war es die damalige Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die mit einem “Dienstjahr” nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern vor allem auch die Bundeswehr stärken wollte. Insbesondere konservative Kommentator*innen greifen jede Wiederholung dieses Vorschlags gerne auf. Egal wie genau das jeweilige Modell genannt wird, auf welche Dienste es sich erstreckt oder wie lang es dauern soll, eins haben alle Vorschläge gemeinsam: Ältere Menschen wollen jungen Menschen vorschreiben, wie sie sich in diese Gesellschaft einzubringen haben. Sie interessieren sich dabei nicht für die Bedürfnisse junger Menschen und sie bringen vor allem einen negativen Blick auf junge Generationen mit, statt ihr vielseitiges Engagement anzuerkennen. Wir wollen, dass junge Menschen endlich einbezogen und nicht eingezogen werden!
Wieso eine Dienstpflicht junges Engagement nicht fördert
Die Dienstpflicht soll, so die Befürworter*innen, den sozialen Zusammenhalt stärken, indem sie junge Menschen dazu bringe, sich mehr für ihre Mitmenschen zu engagieren und einzusetzen. Dabei ist diese Überlegung aus verschiedenen Gründen falsch. Erstens engagieren sich zahlreiche junge Menschen neben Schule, Studium und Ausbildung oder absolvieren ein freiwilliges Jahr nach ihrer Schulzeit – und das obwohl das Engagement junger Menschen an vielen Stellen eher gebremst als gefördert wird. Der negative Blick auf die Jugend wird diesem vielseitigen Engagement nicht gerecht. Zweitens ist überhaupt nicht ersichtlich, wie eine Dienstpflicht bei denjenigen, die aktuell nicht an sozialem Engagement interessiert sind, zu einem Sinneswandel führen soll. Zwang überzeugt nicht. Im Gegenteil, Menschen, die sich zu Tätigkeiten gezwungen fühlen, womöglich sogar von ihren eigentlichen Interessen abgehalten fühlen, werden gesellschaftlichen Einsatz danach vor allem als Last auffassen. Und drittens sind mögliche Tendenzen zur gesellschaftlichen Polarisierung nicht auf eine mangelnde soziale Ausrichtung der Jugend zurückzuführen. Der Blick auf Gruppen, die Hass und Hetze in der Gesellschaft vorantreiben, zeigt etwas ganz anderes: Querdenker*innen, Pegida, Reichsbürger*innen oder AfD-Anhänger*innen, um nur einige Beispiele zu nennen, zeichnen sich allesamt durch ein vergleichsweise hohes Durchschnittsalter aus. Viele der daran Beteiligten haben entweder noch Wehr- oder Zivildienst absolviert. Vor Radikalisierung und Hass auf Andersdenkende hat es sie nicht bewahrt. Gleichzeitig zeigen Studien wie die Mitte-Studie der FES, dass Jugendliche insgesamt toleranter und weltoffener sind. Der Lösungsvorschlag “Pflichtdienst” kann also schon deshalb nicht erfolgreich sein, weil er an den realen Problem vorbeigeht.
Wehrpflicht? Nein danke!
Wir stehen seit über 10 Jahren für das Ende der Wehrpflicht ein. Bei der Diskussion um ein verpflichtendes Dienstjahr müssen wir diese Position erneut bestärken. Trotz der aktuellen Umstände und dem Krieg in Europa, der so einige unserer Positionen ändert, dürfen wir nicht an der Ablehnung der Wehrpflicht zweifeln. Eine allgemeine Wehrpflicht löst nicht die Probleme der Bundeswehr, sondern würde sie verstärken. Selbst die Führungsetage der Bundeswehr lehnt die Dienstpflicht ab und sieht sich nicht in der Lage, 700.000 junge Menschen auszubilden. Unmotivierte Wehrdienst- oder Zivildienstleistende helfen weder der Bundeswehr, noch sozialen Einrichtungen. Ebenso wie das soziale Jahr, muss auch die Verteidigungspolitik reformiert werden. Statt einer Dienstpflicht müssen wir die Fehler der letzten Verteidigungsminister*innen aufarbeiten und die Ausstattung und Ausbildung der Bundeswehr reformieren. Ausrüstung und Ausbildung befinden sich derzeit in einem miserablen Zustand, der die Bundeswehr schlecht einsatzfähig macht. Die Mehrausgaben einer Wehrpflicht stehen in keinem Verhältnis zu den finanziellen Mitteln, die nötig sind, um unsere Bundeswehr einsatzfähig zu machen. Vielmehr müssen wir die gemeinsame Verteidigungspolitik der NATO stärken und in eine bündnisfähige Armee investieren. Gemeinsam mit den NATO-Partnern verfügen wir über knapp 3 Millionen Soldat*innen, die ein unvergleichbares Verteidigungsbündnis darstellen. Es spricht gegen unser jungsozialistisches Grundverständnis, junge Menschen zum Kriegsdienst zu zwingen. Junge Menschen müssen selbst entscheiden dürfen, ob und inwiefern sie sich an der Verteidigungspolitik beteiligen. Eine Förderung und Modernisierung des freiwilligen Wehrdienstes ist dabei zielführender und nachhaltiger als ein verpflichtendes Dienstjahr bei der Armee.
Ursache und Symptom nicht vertauschen: Eine Dienstpflicht hilft den Gesundheitsberufen nicht!
Aktuell sind es über 200.000 und bis zum Jahr 2030 sogar circa 500.000 Pfleger*innen die in Deutschland im Rahmen des Pflegenotstands fehlen und fehlen werden. Darüber hinaus erwägen sogar noch zusätzlich knapp 40% der Pflegekräfte ihren Beruf zu verlassen. Dies ist die Folge von schlechten Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, in der Pflege und in den Krankenhäusern unter denen die Angestellten ihre hoch anzuerkennende Arbeit bewältigen müssen. In der Diskussion zum Dienstjahr soll nun das jahrelange Politikversagen kaschiert und die Personallücken in den Gesundheits- und Sozialberufen mit jungen ungelernten Menschen im verpflichtendem Dienstjahr mit prekärer Beschäftigung gestopft werden. Der Vorschlag ist den engagierten Fachkräften in der Pflege und in sozialen Berufen respektlos gegenüber und verkennt Ursache und Symptom, denn die Pflegekräfte brauchen keine kurzfristig anzulernenden Hilfskräfte, welche ihr Dienstjahr verrichten müssen. Wir brauchen endlich strukturelle Veränderungen und bessere Arbeitsbedingungen! Konkret heißt das mehr Bezahlung, weniger Zeitdruck, bessere Vereinbarkeit mit der Familie, flexiblere Arbeitszeiten, eine bessere Mitbestimmung und eben auch mehr Personal, damit das Gefühl vieler Pflegekräfte den vielen Patient*innen nicht mehr gerecht werden zu können, endlich endet. Den Personalmangel wird man politisch nur gerecht, wenn man das Problem an der Wurzel packt und endlich die notwendigen verbesserten Arbeitsbedinungen schafft. Denn es können sich 48% der Pflegeberufsausteiger*innen vorstellen bei den verbesserten Arbeitsbedingungen ihren erlernten Beruf wieder auszuüben.
Zusammenhalt fördern statt erzwingen
Zahlreiche junge Menschen engagieren sich bereits in Initiativen, Vereinen und Parteien. Viele weitere würden sich gerne mehr engagieren. Statt ein weiteres Mal über Pflichtjahre zu debattieren, sollten wir endlich darüber sprechen, wie wir dieses freiwillige Engagement wirklich fördern und stärken können.
- Schule, Ausbildung, Studium und Weiterbildung müssen so gestaltet sein, dass junge Menschen ausreichend Freizeit haben, um sich ehrenamtlich zu engagieren. Für eine demokratische und resiliente Gesellschaft dürfen junge Menschen faktisch nicht vor die Wahl gestellt werden: Bildungsabschluss oder Ehrenamt.
- Mehr Freiräume für junge Berufstätige und junge Eltern schaffen: Engagement kann nicht isoliert von den Rahmenbedingungen betrachtet werden, in denen es stattfindet. Unsicherheit und Stress im Job halten junge Berufstätige vom Engagement ab, viele, die vorher aktiv waren, hören nach Schule oder Studium sogar damit auf. Wer mehr Engagement will, muss sich für eine drastisch verringerte Wochenarbeitszeit und unbefristete Verträge einsetzen! Für junge Familien braucht es deutlich bessere Betreuungsmöglichkeiten und gleichzeitig elternfreundliche Strukturen in Vereinen und Parteien.
- Egal ob Freiwillige Feuerwehr, Chorgruppe, politische Jugendorganisation und vieles mehr – das breit gefächerte Ehrenamt braucht eine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung!
- Freiwilligendienste wie FSJ oder BFD müssen endlich fair bezahlt werden. Dazu gehört mindestens eine Bezahlung auf Mindestlohnniveau. Durch Arbeitsbedingungen und unzureichende Vergütung werden junge Menschen aktuell daran gehindert, sich so einzubringen, wie sie es gerne würden.
- Nichts motiviert so sehr wie Mitbestimmung: Das Modell “Pflichtdienst” ist von einem paternalistischen Blick auf junge Menschen geprägt. Der Staat müsse als strenges Familienoberhaupt die ihm unterstellten Kinder dazu zwingen, sich unterzuordnen und dem Kollektiv zu dienen. Dieses Denken ist illiberal und nicht zeitgemäß. Wer möchte, dass Menschen sich langfristig in diese Gesellschaft einbringen, sollte eine innere Motivation bei ihnen hervorrufen. Die stärkste Motivation ist die Erfahrung, durch Engagement mitbestimmen und gestalten zu können. Dazu gehört auch, dass die Politik jünger und vielfältiger werden muss. Nicht zuletzt die Debatte über die Dienstpflicht zeigt, dass immer noch viel zu oft über junge Menschen gesprochen wird und viel zu selten mit ihnen.
- Teilhabe muss nicht verdient werden: Alle Menschen in der Gesellschaft haben das gleiche Recht auf Mitbestimmung, unabhängig von ihrer Leistung oder vergangenen Leistungen. “Dienste” an der Allgemeinheit dürfen nicht zur Voraussetzung für Teilhabe gemacht werden.
Demokratie und Freiheit
Demokratie bedeutet Freiheit und eine Wahl zu haben. Daher ist es unsere Aufgabe als demokratische Gesellschaft durch politisches Handeln die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass alle Menschen und insbesondere auch junge Menschen wählen können, wie sie sich nachhaltig engagieren und für Menschen einsetzen wollen.
Wieso eine Dienstpflicht junges Engagement nicht fördert.
- Schule, Ausbildung, Studium und Weiterbildung müssen so gestaltet sein, dass junge Menschen ausreichend Freizeit haben, um sich ehrenamtlich zu engagieren. Für eine demokratische und resiliente Gesellschaft dürfen junge Menschen faktisch nicht vor die Wahl gestellt werden: Bildungsabschluss oder Ehrenamt.
- Mehr Freiräume für junge Berufstätige und junge Eltern schaffen: Engagement kann nicht isoliert von den Rahmenbedingungen betrachtet werden, in denen es stattfindet. Unsicherheit und Stress im Job halten junge Berufstätige vom Engagement ab, viele, die vorher aktiv waren, hören nach Schule oder Studium sogar damit auf. Wer mehr Engagement will, muss sich für eine drastisch verringerte Wochenarbeitszeit und unbefristete Verträge einsetzen! Für junge Familien braucht es deutlich bessere Betreuungsmöglichkeiten und gleichzeitig elternfreundliche Strukturen in Vereinen und Parteien.
- Egal ob Freiwillige Feuerwehr, Chorgruppe, politische Jugendorganisation und vieles mehr – das breit gefächerte Ehrenamt braucht eine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung!
- Freiwilligendienste wie FSJ oder BFD müssen endlich fair bezahlt werden. Dazu gehört mindestens eine Bezahlung auf Mindestlohnniveau. Durch Arbeitsbedingungen und unzureichende Vergütung werden junge Menschen aktuell daran gehindert, sich so einzubringen, wie sie es gerne würden.
- Nichts motiviert so sehr wie Mitbestimmung: Das Modell “Pflichtdienst” ist von einem paternalistischen Blick auf junge Menschen geprägt. Der Staat müsse als strenges Familienoberhaupt die ihm unterstellten Kinder dazu zwingen, sich unterzuordnen und dem Kollektiv zu dienen. Dieses Denken ist illiberal und nicht zeitgemäß. Wer möchte, dass Menschen sich langfristig in diese Gesellschaft einbringen, sollte eine innere Motivation bei ihnen hervorrufen. Die stärkste Motivation ist die Erfahrung, durch Engagement mitbestimmen und gestalten zu können. Dazu gehört auch, dass die Politik jünger und vielfältiger werden muss. Nicht zuletzt die Debatte über die Dienstpflicht zeigt, dass immer noch viel zu oft über junge Menschen gesprochen wird und viel zu selten mit ihnen.
- Teilhabe muss nicht verdient werden: Alle Menschen in der Gesellschaft haben das gleiche Recht auf Mitbestimmung, unabhängig von ihrer Leistung oder vergangenen Leistungen. “Dienste” an der Allgemeinheit dürfen nicht zur Voraussetzung für Teilhabe gemacht werden.
Adressat:
SPD-Bundestagsfraktion
Dienstjahr, Deutschlandjahr, Pflichtdienst: Immer wieder wird uns alter Wein in neuen Schläuchen serviert. Zuletzt waren es einzelne Bundestagsabgeordnete, die einen dreimonatigen sozialen Pflichtdienst gefordert haben, und damit auf den Wagen von unserem Bundespräsidenten sprang, der zuvor öffentlich eine soziale Pflichtzeit zur Debatte stellte und dabei vom Militärdienst bis zur Betreuung von Senior*innen eine Bandbreite an möglichen Pflichttätigkeiten für junge Menschen aufzählte.
Dieser Vorschlag ist nicht neu. Vor vier Jahren war es die damalige Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die mit einem “Dienstjahr” nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern vor allem auch die Bundeswehr stärken wollte. Insbesondere konservative Kommentator*innen greifen jede Wiederholung dieses Vorschlags gerne auf. Egal wie genau das jeweilige Modell genannt wird, auf welche Dienste es sich erstreckt oder wie lang es dauern soll, eins haben alle Vorschläge gemeinsam: Ältere Menschen wollen jungen Menschen vorschreiben, wie sie sich in diese Gesellschaft einzubringen haben. Sie interessieren sich dabei nicht für die Bedürfnisse junger Menschen und sie bringen vor allem einen negativen Blick auf junge Generationen mit, statt ihr vielseitiges Engagement anzuerkennen. Wir wollen, dass junge Menschen endlich einbezogen und nicht eingezogen werden!
Wieso eine Dienstpflicht junges Engagement nicht fördert
Die Dienstpflicht soll, so die Befürworter*innen, den sozialen Zusammenhalt stärken, indem sie junge Menschen dazu bringe, sich mehr für ihre Mitmenschen zu engagieren und einzusetzen. Dabei ist diese Überlegung aus verschiedenen Gründen falsch. Erstens engagieren sich zahlreiche junge Menschen neben Schule, Studium und Ausbildung oder absolvieren ein freiwilliges Jahr nach ihrer Schulzeit – und das obwohl das Engagement junger Menschen an vielen Stellen eher gebremst als gefördert wird. Der negative Blick auf die Jugend wird diesem vielseitigen Engagement nicht gerecht. Zweitens ist überhaupt nicht ersichtlich, wie eine Dienstpflicht bei denjenigen, die aktuell nicht an sozialem Engagement interessiert sind, zu einem Sinneswandel führen soll. Zwang überzeugt nicht. Im Gegenteil, Menschen, die sich zu Tätigkeiten gezwungen fühlen, womöglich sogar von ihren eigentlichen Interessen abgehalten fühlen, werden gesellschaftlichen Einsatz danach vor allem als Last auffassen. Und drittens sind mögliche Tendenzen zur gesellschaftlichen Polarisierung nicht auf eine mangelnde soziale Ausrichtung der Jugend zurückzuführen. Der Blick auf Gruppen, die Hass und Hetze in der Gesellschaft vorantreiben, zeigt etwas ganz anderes: Querdenker*innen, Pegida, Reichsbürger*innen oder AfD-Anhänger*innen, um nur einige Beispiele zu nennen, zeichnen sich allesamt durch ein vergleichsweise hohes Durchschnittsalter aus. Viele der daran Beteiligten haben entweder noch Wehr- oder Zivildienst absolviert. Vor Radikalisierung und Hass auf Andersdenkende hat es sie nicht bewahrt. Gleichzeitig zeigen Studien wie die Mitte-Studie der FES, dass Jugendliche insgesamt toleranter und weltoffener sind. Der Lösungsvorschlag “Pflichtdienst” kann also schon deshalb nicht erfolgreich sein, weil er an den realen Problem vorbeigeht.
Wehrpflicht? Nein danke!
Wir stehen seit über 10 Jahren für das Ende der Wehrpflicht ein. Bei der Diskussion um ein verpflichtendes Dienstjahr müssen wir diese Position erneut bestärken. Trotz der aktuellen Umstände und dem Krieg in Europa, der so einige unserer Positionen ändert, dürfen wir nicht an der Ablehnung der Wehrpflicht zweifeln. Eine allgemeine Wehrpflicht löst nicht die Probleme der Bundeswehr, sondern würde sie verstärken. Selbst die Führungsetage der Bundeswehr lehnt die Dienstpflicht ab und sieht sich nicht in der Lage, 700.000 junge Menschen auszubilden. Unmotivierte Wehrdienst- oder Zivildienstleistende helfen weder der Bundeswehr, noch sozialen Einrichtungen. Ebenso wie das soziale Jahr, muss auch die Verteidigungspolitik reformiert werden. Statt einer Dienstpflicht müssen wir die Fehler der letzten Verteidigungsminister*innen aufarbeiten und die Ausstattung und Ausbildung der Bundeswehr reformieren. Ausrüstung und Ausbildung befinden sich derzeit in einem miserablen Zustand, der die Bundeswehr schlecht einsatzfähig macht. Die Mehrausgaben einer Wehrpflicht stehen in keinem Verhältnis zu den finanziellen Mitteln, die nötig sind, um unsere Bundeswehr einsatzfähig zu machen. Vielmehr müssen wir die gemeinsame Verteidigungspolitik der NATO stärken und in eine bündnisfähige Armee investieren. Gemeinsam mit den NATO-Partnern verfügen wir über knapp 3 Millionen Soldat*innen, die ein unvergleichbares Verteidigungsbündnis darstellen. Es spricht gegen unser jungsozialistisches Grundverständnis, junge Menschen zum Kriegsdienst zu zwingen. Junge Menschen müssen selbst entscheiden dürfen, ob und inwiefern sie sich an der Verteidigungspolitik beteiligen. Eine Förderung und Modernisierung des freiwilligen Wehrdienstes ist dabei zielführender und nachhaltiger als ein verpflichtendes Dienstjahr bei der Armee.
Ursache und Symptom nicht vertauschen: Eine Dienstpflicht hilft den Gesundheitsberufen nicht!
Aktuell sind es über 200.000 und bis zum Jahr 2030 sogar circa 500.000 Pfleger*innen die in Deutschland im Rahmen des Pflegenotstands fehlen und fehlen werden. Darüber hinaus erwägen sogar noch zusätzlich knapp 40% der Pflegekräfte ihren Beruf zu verlassen. Dies ist die Folge von schlechten Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, in der Pflege und in den Krankenhäusern unter denen die Angestellten ihre hoch anzuerkennende Arbeit bewältigen müssen. In der Diskussion zum Dienstjahr soll nun das jahrelange Politikversagen kaschiert und die Personallücken in den Gesundheits- und Sozialberufen mit jungen ungelernten Menschen im verpflichtendem Dienstjahr mit prekärer Beschäftigung gestopft werden. Der Vorschlag ist den engagierten Fachkräften in der Pflege und in sozialen Berufen respektlos gegenüber und verkennt Ursache und Symptom, denn die Pflegekräfte brauchen keine kurzfristig anzulernenden Hilfskräfte, welche ihr Dienstjahr verrichten müssen. Wir brauchen endlich strukturelle Veränderungen und bessere Arbeitsbedingungen! Konkret heißt das mehr Bezahlung, weniger Zeitdruck, bessere Vereinbarkeit mit der Familie, flexiblere Arbeitszeiten, eine bessere Mitbestimmung und eben auch mehr Personal, damit das Gefühl vieler Pflegekräfte den vielen Patient*innen nicht mehr gerecht werden zu können, endlich endet. Den Personalmangel wird man politisch nur gerecht, wenn man das Problem an der Wurzel packt und endlich die notwendigen verbesserten Arbeitsbedinungen schafft. Denn es können sich 48% der Pflegeberufsausteiger*innen vorstellen bei den verbesserten Arbeitsbedingungen ihren erlernten Beruf wieder auszuüben.
Zusammenhalt fördern statt erzwingen
Zahlreiche junge Menschen engagieren sich bereits in Initiativen, Vereinen und Parteien. Viele weitere würden sich gerne mehr engagieren. Statt ein weiteres Mal über Pflichtjahre zu debattieren, sollten wir endlich darüber sprechen, wie wir dieses freiwillige Engagement wirklich fördern und stärken können.
- Schule, Ausbildung, Studium und Weiterbildung müssen so gestaltet sein, dass junge Menschen ausreichend Freizeit haben, um sich ehrenamtlich zu engagieren. Für eine demokratische und resiliente Gesellschaft dürfen junge Menschen faktisch nicht vor die Wahl gestellt werden: Bildungsabschluss oder Ehrenamt.
- Mehr Freiräume für junge Berufstätige und junge Eltern schaffen: Engagement kann nicht isoliert von den Rahmenbedingungen betrachtet werden, in denen es stattfindet. Unsicherheit und Stress im Job halten junge Berufstätige vom Engagement ab, viele, die vorher aktiv waren, hören nach Schule oder Studium sogar damit auf. Wer mehr Engagement will, muss sich für eine drastisch verringerte Wochenarbeitszeit und unbefristete Verträge einsetzen! Für junge Familien braucht es deutlich bessere Betreuungsmöglichkeiten und gleichzeitig elternfreundliche Strukturen in Vereinen und Parteien.
- Egal ob Freiwillige Feuerwehr, Chorgruppe, politische Jugendorganisation und vieles mehr – das breit gefächerte Ehrenamt braucht eine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung!
- Freiwilligendienste wie FSJ oder BFD müssen endlich fair bezahlt werden. Dazu gehört mindestens eine Bezahlung auf Mindestlohnniveau. Durch Arbeitsbedingungen und unzureichende Vergütung werden junge Menschen aktuell daran gehindert, sich so einzubringen, wie sie es gerne würden.
- Nichts motiviert so sehr wie Mitbestimmung: Das Modell “Pflichtdienst” ist von einem paternalistischen Blick auf junge Menschen geprägt. Der Staat müsse als strenges Familienoberhaupt die ihm unterstellten Kinder dazu zwingen, sich unterzuordnen und dem Kollektiv zu dienen. Dieses Denken ist illiberal und nicht zeitgemäß. Wer möchte, dass Menschen sich langfristig in diese Gesellschaft einbringen, sollte eine innere Motivation bei ihnen hervorrufen. Die stärkste Motivation ist die Erfahrung, durch Engagement mitbestimmen und gestalten zu können. Dazu gehört auch, dass die Politik jünger und vielfältiger werden muss. Nicht zuletzt die Debatte über die Dienstpflicht zeigt, dass immer noch viel zu oft über junge Menschen gesprochen wird und viel zu selten mit ihnen.
- Teilhabe muss nicht verdient werden: Alle Menschen in der Gesellschaft haben das gleiche Recht auf Mitbestimmung, unabhängig von ihrer Leistung oder vergangenen Leistungen. “Dienste” an der Allgemeinheit dürfen nicht zur Voraussetzung für Teilhabe gemacht werden.
Demokratie und Freiheit
Demokratie bedeutet Freiheit und eine Wahl zu haben. Daher ist es unsere Aufgabe als demokratische Gesellschaft durch politisches Handeln die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass alle Menschen und insbesondere auch junge Menschen wählen können, wie sie sich nachhaltig engagieren und für Menschen einsetzen wollen.