GS-01 Die Zusammenführung von Krankenversicherung, Pflegeversicherung und medizinischer Rehabilitation unter dem Dach der GKV

Status:
Ablehnung

Eine Bürgerversicherung ist gerechter als die derzeitige Beitragsfinanzierung, weil sie die Finanzierung von Kranken- und Pflegeversicherung konsequent am Grundsatz der Leistungsfähigkeit eines jeden Bürgers orientiert.

In der Kranken- und Pflegeversicherung werden vergleichbare Lebensrisiken versichert. Die orga-nisatorische Trennung der teilweise wettbewerblich ausgerichteten GKV von der nichtwettbewerblich organisierten sozialen Pflegeversicherung (SPV) bringt erhebliche Nachteile für die Nutzer. Sie ermöglicht Verschiebungen der Kosten zwischen beiden Versicherungszweigen und führt in vielen Fällen zu unklaren Zuständigkeiten, welche die Versorgung des Pflegebedürftigen erheblich erschweren können.

Begründung:

Folgende Elemente sollten Inhalt einer solidarischen Kranken- und Pflegeversicherung einschließlich der medizinischen Rehabilitation unter einem Dach sein:

Aufklärung in der Bevölkerung (in allen gesellschaftlichen Bereichen)

  • Das Risiko, pflegebedürftig zu werden, als auch die Prävention von Pflegebedürftigkeit bedarf verstärkter gesellschaftlicher und gesundheitspolitischer Aufmerksamkeit.

Nicht zum Nulltarif

  • Die selbst organisierte und finanzierte Vorsorge wird mehr als bislang die solidarische Absicherung ergänzen müssen. Dabei geht es nicht allein um eine finanzielle Absicherung des Risikos Pflegeabhängigkeit, sondern ebenso um die Entwicklung eines Bewusstseins dafür, dass Pflegebedürftigkeit kein unabwendbarer Zustand ist, der sich z. B. durch Lebensstil oder Anpassung des Wohnumfeldes verhindern oder zumindest in seiner Schwere verringern bzw. verzögern lässt.

Umverteilung

  • Politisch muss die Debatte zu Umverteilungsprozessen in die Langzeitpflege und Betreuung chronisch Kranker aufgenommen werden und neue Akzente der gesundheitlichen Versorgung in der altersgewandelten Gesellschaft setzen

Generationengerechtigkeit

  • Generationengerechtigkeit die Postulate der Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit verlangen, dass zukünftige Generationen bei vergleichbarer Abgabenlast vergleichbare Leistungen von der Versichertengemeinschaft erhalten wie die heutige Generation.

Geschlechtergerechtigkeit

  • Im Sinne einer Geschlechtergerechtigkeit sollte mit den künftigen gesetzlichen Rahmenbe-dingungen auch angestrebt werden, die Aufgaben der Pflege solidarischer zwischen den Ge-schlechtern zu teilen. Heute tragen vor allem Frauen (Ehefrauen, Töchter und Schwiegertöchter) die – oft sehr hohen – Belastungen der häuslichen Pflege Familienangehöriger.

Wettbewerbliches Versicherungssystem

  • Die Integration der SPV in ein wettbewerbliches Versicherungssystem setzt allerdings einen funktionsfähigen, morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (RSA) voraus.
  • Bei seiner Konstruktion können die Erfahrungen mit dem RSA in der GKV als nützliche Informationsgrundlage dienen.
  • Die Integration dieser beiden sozialen Versicherungszweige löst zwar insofern nicht alle Schnittstellenprobleme, als der Interessenkonflikt zwischen den Versicherten und den Krankenkassen wegen des Teilkaskocharakters der SPV in vielen Fällen bestehen bleiben wird. Die Versicherten verfügen jedoch in einem wettbewerblichen System über die Möglichkeit, auf die Entscheidungen der Krankenkassen Einfluss zu nehmen, d. h. mit einem Kassenwechsel zu drohen bzw. zu reagieren.

Wegfall der Versicherungspflichtgrenze

  • Sofern die GKV über einen Wegfall der Versicherungspflichtgrenze zu einer sog. Bürgerver-sicherung erweitert wird, bietet sich im Falle der Integration dieser beiden Versicherungszweige auch eine entsprechende Ausgestaltung der SPV an.
  • Auch unabhängig von einer Integration dieser beiden Versicherungszweige, d. h. bei Fortbestehen einer eigenständigen SPV im derzeitigen Ordnungsrahmen, sprechen Effizienzaspekte für eine wettbewerbliche SPV mit einem Risikostruktur- statt eines Finanzausgleichs.

Einbeziehung aller Einkunftsarten

  • Die Versichertenbeiträge sollten auf alle Einkunftsarten ausgeweitet, der Beitrag des Arbeitseinkommens jedoch weiter paritätisch finanziert werden.

Familienversicherung und Splitting der Beitragsgrundlagen

  • Die Familienmitversicherung wird weiterhin als sinnvoll erachtet.
  • Empfohlen wird das Splitting des gemeinsamen Arbeitsentgeltes bzw. Einkommens mit anschließender Anwendung des hälftigen Beitragssatzes auf beide Entgeltteile. Das Splittingver-fahren belastet im Vergleich zur geltenden Regelung nur solche Familien stärker, bei denen das Arbeitsentgelt des erwerbstätigen Partners die Beitragsbemessungsgrenze übersteigt, und solche, bei denen das Arbeitsentgelt des einen Partners über und das des anderen Partners unter der Beitragsbemessungsgrenze liegt.

Anreize zur ambulanten Pflege

  • Um stärkere Anreize zur ambulanten Pflege zu setzen, sollten die Sätze im ambulanten Bereich etwas angehoben und im stationären etwas abgesenkt werden.

Wettbewerb durch Vertragsfreiheit

  • Im bisher nichtwettbewerblichen System der Pflegeversicherung könnten Wettbewerb-selemente den Pflegebedürftigen zu Gute kommen. Wenn Pflegekassen mit einzelnen Pflege-heimen oder Pflegeheimketten für ihre Versicherten besondere Tarife aushandeln, verringern sie den Eigenanteil der Versicherten. Jeder Versicherte erhält jedoch die Möglichkeit, sich auch für einen anderen Anbieter zu entscheiden, muss dann allerdings einen höheren Eigenanteil in Kauf nehmen.

Stärkere Berücksichtigung der Kindererziehung

  • Bei der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Entlastung der Erziehenden im Beitragssystem der Pflegeversicherung ist der generative Beitrag der Eltern zu honorieren. Erziehende sollten nicht generell und einheitlich, sondern in Zusammenhang mit der Anzahl der Kinder entlastet werden.

Geriatrische Rehabilitation zu den Pflegekassen

  • Die Chance, durch Prävention und Rehabilitation Pflegebedürftigkeit zu verhindern, zu mindern oder hinauszuzögern, wird bislang unzureichend genutzt. Für Krankenkassen besteht der Anreiz, Leistungen auf die Pflegeversicherung zu verlagern. Sie selbst besitzen nur dann ein Interesse an präventiven und rehabilitativen Maßnahmen, wenn sich deren Erfolge in der GKV und nicht als externe Effekte in der SPV niederschlagen. Rehabilitation sollte von dem Träger finanziert werden, der auch den Nutzen für den Erfolg der Maßnahme trägt. Daraus folgt die Forderung nach der Anerkennung der Pflegekassen als Rehabilitationsträger. Eine solche Entscheidung hebt die Trennung von Finanzierungslast und Erfolgsinteresse bei der geriatrischen Rehabilitation auf und überträgt die Verantwortung für die geriatrische Rehabilitation den Pflegekassen.

Einbindung der Kommunen in die Verantwortung

  • Für die Prävention der Pflegeabhängigkeit sind auch die Kommunen und Länder mitver-antwortlich. Ihnen fällt die Aufgabe zu, die notwendige Infrastruktur zu schaffen und zu erhal-ten. Dies umfasst die Wohngebäudeausgestaltung, die Bereitstellung gemeindenaher Dienste für Hilfeleistungen, die nicht Gegenstand der Pflege oder der Pflegeversicherung sein können, aber auch die Stärkung und Unterstützung ehrenamtlichen Engagements.

Versicherungsfremde Leistungen steuerfinanziert

  • Die krankenversicherungsfremden Leistungen auf der Ausgabenseite belaufen sich auf über 30 Mrd. Euro Eine Umfinanzierung aus Steuermitteln führt zu einer Beitragssatzabsenkung in der GKV von über drei Beitragssatzpunkten.
  • Für eine Verlagerung der krankenversicherungsfremden Leistungen von der Beitrags- in die Steuerfinanzierung sprechen auch arbeitsmarktpolitische Gründe. Bei gleichem Leistungsvo-lumen erfordert die Beitragsentlastung der GKV zwar eine Erhöhung von Steuern und/oder öffentlicher Schuld in gleicher Höhe, dabei können die beschäftigungspolitischen Effekte aber erheblich differieren. Die Beitragsentlastung reduziert die Lohnnebenkosten und fördert damit den Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit, während sich die Steuererhöhungen auf den Konsum konzentrieren können.

Gegenüberstellung der Organisationsunterschiede der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung

Gesetzliche Krankenversicherung

  • Vollkasko-Versicherung
  • Risikostrukturausgleich
  • wettbewerbliches System
  • Festlegung des Beitragssatzes durch die jeweilige Krankenkasse (bei gleicher Beitragsbemessungsgrenze)
  • Leistungen nach dem Bedarfsprinzip
  • Heterogenität in der Ausgestaltung der Vertragsverantwortlichkeiten (unterschiedliche Vertragsausgestaltung auf Landesebene, Modellprojekte usw.)
  • in der Regel Leistungsgewährung bei Inanspruchnahme (implizite Leistungsgewährung)
  • sektorale Budgetierung
  • geringe Wahlmöglichkeiten bei den Leistungen

Soziale Pflegeversicherung

  • Teilkasko-Versicherung
  • ausgabenorientierter Finanzausgleich
  • nichtwettbewerbliches System
  • Festlegung des Beitragssatzes durch den Gesetzgeber (bei gleicher Beitragsbemessungsgrenze)
  • Leistungen nach dem Budgetprinzip
  • gemeinsames und einheitliches Vorgehen in der Ausgestaltung der Vertragsverantwortlichkeiten (die einzelne Pflegekasse verfügt nicht über eigene Entscheidungsspielräume)
  • Leistungsgewährung nach Antrag und Begutachtung (explizite Leistungsgewährung)
  • Gesamtbudget
  • größere Wahlmöglichkeiten bei den Leistungen (Sach- oder Geldleistungen in der ambulanten Versorgung, ambulante oder stationäre Versorgung)

Fazit: Folgende Gesichtspunkte sprechen mittelfristig für eine engere Verzahnung von GKV und SPV:

  • das Nebeneinander der GKV und der SPV ist nicht effektiv, da strukturell ähnlich gelagerte Risiken abgesichert werden,
  • bei älteren Versicherten kommt es oft zu Überschneidungen der Ansprüche aus beiden Versicherungszweigen,
  • Maßnahmen der Prävention und Rehabilitation zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit werden aufgrund verschiedener ökonomischer Anreizstrukturen unzureichend ergriffen,
  • Chancen für die Etablierung von Modellen der integrierten Versorgung werden kaum ge-nutzt und
  • die anspruchsberechtigten Pflegebedürftigen erleiden erhebliche Nachteile, wenn Leis-tungen von der GKV in die budgetierte SPV verschoben werden.

Angesichts des zu erwartenden drastischen Anstiegs von Krankheits- und Pflegekosten – aufgrund der demografischen Entwicklung – sollen die Kranken- und Pflegeversicherung und medizinische Rehabilitation zusammengeführt werden. Das Nebeneinander von Pflegeversicherung und Kran-

kenkassen ist unwirtschaftlich, weil beide Systeme ähnliche Risiken absichern. Zudem verschieben die Krankenkassen oft Ausgaben in die Pflegeversicherung um zu sparen. Mit der Zusammenfüh-rung von Krankenversicherung, Pflegeversicherung und medizinischer Rehabilitation lägen die Aufgaben von Prävention, Behandlung, Rehabilitation und Pflege in einer Hand. So könnten die Aufgaben auch aus einer Hand koordiniert, integriert geplant und finanziert werden.

Empfehlung der Antragskommission:
Ablehnung