GS- Die Welt gehört in Kinderhände! Bundesweite. Standards für Qualität und Zuverlässigkeit in Kindertagesstätten.

Über 30 Tage im Jahr – so oft sind Mitarbeiter*innen in der Kinderbetreuung und -erziehung durchschnittlich krank. Tendenz steigend, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung im August 2024 feststellte. Der Durchschnitt aller Berufsgruppen liegt hingegen bei 20 Tagen. Die zweithäufigste Ursache, nach Atemwegsinfektionen, sind dabei psychische Erkrankungen, die durch den Beruf verursacht werden. Obwohl viele Erzieher*innen, Sozialassistent*innen oder Therapeut*innen ihren Beruf aus Überzeugung und Begeisterung gewählt haben, macht dieser Job sie krank. Viele pädagogische Fachkräfte sind frustriert, weil sie durch den Personalmangel ihrer eigentlichen Berufung gar nicht nachgehen können, sondern damit beschäftigt sind, irgendwie den Betrieb am Laufen zu halten, ohne dass die Kinder zu Schaden kommen. Über 90 % der Mitarbeiter*innen sind FINTA. Es sind also vor allem Frauen (Zahlen zu TIN-Personen liegen nicht vor), die unter den desaströsen Arbeitsbedingungen in dieser Branche leiden. Die übermäßige, gesundheitsgefährdende Arbeitsbelastung und damit verbundene Ausfälle an Kindertagesstätten führen wiederum dazu, dass das verbliebene Personal noch mehr Arbeit stemmen muss und immer öfter auch dazu, dass ganze Gruppen innerhalb der Einrichtungen wegen Krankheit geschlossen werden müssen.  

Spätestens an diesem Punkt sind auch die Eltern betroffen, die – meistens ohne jeglichen Planungsvorlauf – einspringen müssen. Unter der desaströsen Personallage leidet die Zuverlässigkeit der Kitas und damit auch die Planungssicherheit der Eltern. Das führt nicht nur zu Stress oder abstrakten beruflichen Nachteilen, sondern oft zu ganz konkreten finanziellen Einbußen. Da ein Großteil der unbezahlten Care-Arbeit immer noch von FINTA geleistet wird und der Anteil von FINTA unter Alleinerziehenden höher ist, leiden auch verstärkt FINTA unter den unkalkulierbaren Kita-Ausfällen. Die Kita-Krise ist deshalb auch aus feministischer Perspektive ein enormes Problem, weil sie letztlich zur Stärkung traditioneller Geschlechterrollen beiträgt. Oft wissen sich Träger der Einrichtungen nicht mehr anders zu helfen, als den Zugang zur Ganztagsbetreuung einzuschränken, die dann z.B. nur genutzt werden kann, wenn beide Eltern in Vollzeit berufstätig sind.  

Am unmittelbarsten betroffen sind aber die Kinder, die die Kindertagesstätten besuchen. Der Besuch dieser Einrichtungen ist dabei mehr als nur eine reine “Verwahrung” der Kinder, während die Eltern arbeiten, sondern zentraler Bestandteil der frühkindlichen Bildung. Viele emotionale (z.B. Empathie, Selbstbewusstsein, Bedürfnisse äußern), soziale (Kommunikation und Zusammenarbeit), kognitive (Kreativität und Problemlösung), sprachliche, motorische und interkulturelle Kompetenzen werden bereits im Kita-Alter erworben und legen damit den Grundstein für spätere Lernerfolge. Für viele dieser Kompetenzen sind Peer-Interaktionen, also die Sprachförderung in der und durch die Gruppe, notwendig, sodass sie nicht gleichermaßen allein in der Familie erworben werden können. Wenn die Kita diesem Bildungsanspruch nicht nachkommen kann, haben die Kinder einen erheblichen Nachteil für ihren weiteren Bildungsweg. Dabei trifft auch das nicht alle Kinder gleichermaßen. Vom Mangel an Kita-Plätzen sind überdurchschnittlich häufig armutsgefährdete, migrantisierte, nicht-akademische und alleinerziehende Familien betroffen. Die Kita-Krise ist somit auch eine Gerechtigkeitsfrage und eine zuverlässige und qualitativ angemessene Versorgung mit Kita-Plätzen ist Bestandteil eines gerechten Bildungszugangs. Wenn Kitas als Bildungsort begriffen werden, müssen andere qualitative Maßstäbe angelegt werden, als wenn es nur um reine Betreuung der Kinder geht. Der Personalnotstand in vielen Kitas steht diesem Qualitätsanspruch im Weg: Durch Stress und hohe Arbeitsbelastung kommt die individuelle Förderung der Kinder zu kurz. Wenn Gruppen zusammengelegt oder Betreuungsschlüssel angepasst werden, hat die Fachkraft weniger Zeit für das einzelne Kind. Auch die Absenkung der Qualifikationsanforderungen an die Fachkräfte wird zum Teil als Maßnahme gegen den Personalmangel gefordert. In Niedersachsen wurde bereits beschlossen, dass Sozialassistent*innen unter bestimmten Bedingungen die Gruppenleitung übernehmen können, was zuvor auf Erzieher*innen beschränkt war. In anderen Bundesländern wird ähnliches diskutiert. Maßnahmen wie diese führen zu der verbreiteten Wahrnehmung, dass Zuverlässigkeit und Qualität von Kindertagesstätten im Konflikt miteinander stehen. Über akute Notsituationen hinaus gedacht bedingen sich Zuverlässigkeit und Qualität jedoch gegenseitig.  

Mit Blick auf die hier umrissenen Gruppen – Mitarbeiter*innen in Kitas, Eltern und Kinder – ist die Kita-Krise ein vielschichtiges Problem, das Arbeitnehmer*innenrechte und den Kampf für faire Arbeitsbedingungen, Gleichstellungsfragen und Bildungsgerechtigkeit miteinander verbindet. Bundesweit für gute Bedingungen in der Kita zu kämpfen ist deshalb auch ein wichtiges Anliegen für uns als SPD. Ein entscheidender Punkt ist dabei die Schaffung bundesweiter Standards – unter anderem bei Personalführung und in der Sprachförderung. Dafür setzen wir uns ein. Wir begrüßen, dass sich die CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag auf ein Qualitätsentwicklungsgesetz verständigt haben und fordern, dass das Gesetz die folgenden Aspekte aufgreift. 

Mit bundesweiten Personal-Standards gegen die Kita-Krise  

Um der Kita-Krise zu begegnen, müssen die beiden zentralen Größen, Zuverlässigkeit und Qualität, zusammengebracht werden. Bislang werden sie zu oft in einem Konkurrenzverhältnis gesehen, zum Beispiel wenn vermeintliche Zuverlässigkeit durch größere Gruppen oder Aufweichung von Qualifizierungsanforderungen erzielt werden soll. Tatsächlich sind beide aus sozialdemokratischer Perspektive nicht nur zwingend notwendig, sie beeinflussen sich auch gegenseitig: Personalmangel und größere Gruppen führen zu höherer Belastung, damit zu höheren Krankheitsständen und schließlich zu den beschriebenen Gruppenschließungen. Zugleich führen die schlechten Arbeitsbedingungen dazu, dass eine Vollzeittätigkeit in einer Kita für viele Mitarbeiter*innen kaum leistbar ist und Lohnerhöhungen somit oft in Arbeitszeitreduzierungen umgesetzt werden, was die Personalnot weiter verstärkt. Fast die Hälfte der Mitarbeiter*innen in Kitas arbeitet in Teilzeit. Ein weiterer Effekt der Arbeitsbedingungen ist, dass die Verweildauer im Beruf der Erzieher*in extrem gering ist. Zwar hat seit den 2010er-Jahren eine (wenngleich nicht ausreichende) Steigerung der Ausbildungskapazitäten stattgefunden, aber nach fünf Jahren hat die Hälfte der Beschäftigten den Beruf wieder verlassen. Eine höhere Attraktivität des Berufs ist daher notwendig, um bereits ausgebildete Fachkräfte auch zu halten oder zurückzugewinnen.  

Die Überlastung der Mitarbeiter*innen ist aber keine Überraschung. Sie ist viel zu oft fester Bestandteil der Personalberechnung. Bei der Personalplanung wird in vielen Kitas mit weniger als den tariflich oder vertraglich vereinbarten Urlaubstagen gerechnet und auch die Krankheitstage werden niedriger geschätzt als die bekannten Statistiken ausweisen. Damit wird auf dem Papier zwar eine Personaldeckung erreicht, die in der Realität aber scheitern muss. Auch wenn das eine “Verzweiflungstat” angesichts des Fachkräftemangels sein mag, trägt es doch zur Überlastung des Personals und damit letztlich auch zum Fachkräftemangel selbst bei. Auch mittelbare pädagogische Arbeit wie Elterngespräch, Vor- und Nachbereitung oder Dokumentation werden nicht realistisch in die Berechnung des benötigten Personals einbezogen.  

Genau an dieser Stelle muss ein bundesweites Qualitätsentwicklungsgesetz ansetzen! Wir fordern deshalb bundesweite Mindeststandards beim Kita-Personal, die zu einer realistischen Personalplanung führen sollen. Das bedeutet, dass Ausfallzeiten ebenso wie der Zeitbedarf für mittelbare pädagogische Arbeit gemäß aktueller Datenlage einbezogen werden müssen. Wenn Kita-Beschäftigte durchschnittlich 30 Tage im Jahr krank sind, dann sollte auch mit 30 Tagen gerechnet werden und nicht mit den 20 Tagen, die in anderen Berufen der Durchschnitt sind. Damit ist ein erster Schritt gemacht, um die Belastung der Beschäftigten zu reduzieren und gleichzeitig auch eine zuverlässigere Planung für Kinder und Eltern zu gewährleisten. Damit eine bedarfsgerechte Personalplanung erfolgreich umgesetzt werden kann, sollten weiterhin wesentliche Aspekte wie die Qualifikation des Personals, das Recht auf Fort- und Weiterbildung sowie das Recht auf Supervision berücksichtigt werden. Dabei ist sicherzustellen, dass Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie insbesondere die Supervision die pädagogischen Einsatzzeiten des Teams nicht in einer Weise beeinträchtigen, dass die qualitative Betreuung der Kinder darunter leidet.  

Sprache ist der Schlüssel zur Welt  

Standards müssen auch bei der Stärkung des frühkindlichen Kompetenzerwerbs gesetzt werden. Dabei muss vor allem ein Schwerpunkt auf alltagsintegrierte Sprachbildung gesetzt werden. Schon jetzt gehört die Sprachbildung zum Auftrag von Kitas, der in entsprechenden Landesgesetzen geregelt ist. Zurecht: Sprache stellt einen besonders wichtigen Bestandteil in der gesamtkindlichen Entwicklung dar und ist damit eine der zentralen Schlüsselkompetenzen. Sprache wird in einem ganzheitlichen Sinn begriffen und ist gleichermaßen ein verbal- und vorsprachliches sowie nonverbales kommunikatives Ausdrucksmittel im Erst- oder Zweitspracherwerb von Kindern. Besonders die Jahre, in denen Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen, sind der entscheidende Zeitraum für die kindliche Sprachentwicklung, die Grundlage für einen gelingenden Schriftspracherwerb und damit eine zentrale Voraussetzung für den Bildungserfolg und die Teilhabe an unserer Gesellschaft. Repräsentative Elternbefragungen wie NEPS oder AID:A haben erhoben, dass bei etwa jedem 5. Kind in der Altersgruppe der 5-jährigen in Deutschland ein Sprachförderbedarf festgestellt wurde. Unterschiede nach Familiensprache, Migrationshintergrund, Geschlecht und Schulabschluss der Eltern sind deutlich erkennbar. Auch bei über 20% derjenigen Kinder, die zu Hause überwiegend Deutsch sprechen, wurde ebenfalls eine verzögerte Sprachentwicklung festgestellt. Dies ist gesamtgesellschaftlich eine Herausforderung, da es einen Großteil der Kinder unabhängig von bspw. Mehrsprachigkeit betrifft. Dass der schwarz-rote Koalitionsvertrag die Wiedereinführung der Sprach-Kitas dem Integrationskapitel zuordnet, zeichnet ein einseitiges Bild vom tatsächlichen Sprachbildungsbedarf. Trotzdem erfordert die Sprachbildung und -förderung mehrsprachig aufwachsender Kinder spezifische Handlungskompetenzen von Seiten der Fachkräfte, weshalb diese Kinder bis heute oft durchs Raster fallen, anstatt die Potentiale der Kinder zu nutzen. Aufgrund des weiterhin bestehenden akuten Personalmangels in frühkindlichen Bildungseinrichtungen und den daraus resultierenden fehlenden zeitlichen Ressourcen können viele pädagogischen Fachkräfte dem gesetzlichen Auftrag und dem Bedarf der Kinder an Sprachbildung/-förderung nicht gerecht werden. Um bestehende Qualifizierungslücken des regulären Kita-Personals im Bereich Sprachbildung und -förderung zu schließen, sollten verpflichtende Fort- und Weiterbildungen eingeführt werden. Auf diese Weise kann eine umfassende und qualitativ hochwertige sprachpädagogische Betreuung der Kinder nachhaltig sichergestellt werden. Das von 2016 bis 2023 bestehende Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat alltagsintegrierte sprachliche Bildung als festen Bestandteil in der Kindertagesbetreuung gefördert. Bundesweit war etwa jede 10. Kita eine sogenannte Sprach-Kita, in der eine zusätzliche Fachkraft (meist pädagogische Fachkräfte oder Sprachtherapeut*innen) mit halber Stelle durch das Bundesministerium gefördert wurde. Das Bundesprogramm war zwar eine guter Schritt in die richtige Richtung, konnte langfristig aber nicht die bestehenden Probleme lösen: zum einen, weil der Anteil der geförderten Einrichtungen zu gering war, um ein flächendeckendes Angebot für alle Kinder zu gewährleisten, zum anderen, weil die Förderung projektbasiert war und damit mit befristeten Stellen einherging und diese somit für qualifizierte Fachkräfte unattraktiver wurden. Seit dem Auslaufen des Programms im Juni 2023 sind die Bundesländer in der Verantwortung, die Projektstellen in ein Regelangebot zu überführen. In dem zurückliegenden Jahr hat sich jedoch vielerorts ein Rückschritt bei der alltagsintegrierten Sprachbildung gezeigt, keinesfalls jedoch ein substanzieller Fortschritt. Statt einer bloßen Wiedereinführung des Sprach-Kita-Programms braucht es nämlich eine flächendeckende Ausweitung und Verstetigung des Angebots. Die im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vereinbarte Weiterentwicklung der Sprach-Kitas muss diese Aspekte aufgreifen. 

Wir fordern deshalb als bundesweite Mindeststandards: 

  • dass pro Kindertageseinrichtung zusätzlich zu den pädagogischen Fachkräften mindestens eine qualifizierte Sprachförderkraft eingestellt werden muss. 
  • dass diese Sprachförderkräfte unbefristet und projektunabhängig eingestellt werden. 
  • dass projektunabhängige Fördermittel für die Sprachförderung in der frühkindlichen Bildung geschaffen werden, um flächendeckend Stellen zu finanzieren 
  • dass der Grundbedarf an Erzieher*innen-Stellen durch einen angemessenen und realistischen Stellenplan gedeckt wird. (Unter Berücksichtigung realistischer Krankheitstage, Teilzeit, etc.), so dass sich weitere Fachkräfte auch auf ihre tatsächliche Aufgabe und nicht auf die Unterstützung bei krankheitsausfällen konzentrieren können 
  • dass jede Einrichtung zunächst mindestens 20 Wochenstunden für die Sprachbildung, unabhängig von der Kinderzahl erhält. Dies stellt sicher, dass selbst kleinere Einrichtungen ausreichend Zeit für die Sprachförderung einplanen können. Mit der Steigerung der Gruppengrößen bzw. Gruppenanzahl muss auch die Stundenzahl der Sprachförderkräfte entsprechend stufenweise steigen, sodass der Größe der KiTa Rechnung getragen wird. Ein entsprechender Betreuungsschlüssel muss von einer Kommission bestehend aus Vertreter*innen aus Politik, Praxis und Wissenschaft erarbeitet werden. Kleinere Kommunen haben die Möglichkeit, sich zusammenzuschließen, sodass eine Sprachförderkraft für bis zu zwei Einrichtungen entsprechend des genannten Betreuungsschlüssels zuständig sein kann. 

Die Aufgaben der Sprachförderkräfte sollen dabei vor allem sein: 

  • Unterstützung der pädagogischen Fachkräfte bei der Beobachtung und Dokumentation der sprachlichen Kompetenzen  
  • Feststellung besonderer Sprachförderbedarfe und ggf. Unterstützung bei der Suche von gezielten Förder- oder Therapiemaßnahmen  
  • Angebote zur alltagsintegrierten Sprachbildung (mit-)entwickeln sowie gezielte und individuelle Sprachfördermaßnahmen für Kinder mit besonderem Sprachförderbedarf durchführen  
  • Beratung und Unterstützung der pädagogischen Fachkräfte  
  • Zusammenarbeit mit Familien, Schulen sowie Ärzt*innen und Sprachtherapeut*innen 

Qualifikation und Arbeitsweise:  

Neben der pädagogischen Kompetenz der Sprachförderkräfte muss bei der Einstellung vor allem auch auf die Qualifikation im Bereich Sprachförderung/-bildung geachtet werden. Es gibt mittlerweile ein sehr breites Spektrum an Ausbildungen und Studiengängen in diesem Fachbereich, die teilweise nicht allen Bundesländern angeboten werden. Deshalb iist eine bundesweite Harmonisierung beim Zugang zu den Sprachförderstellen notwendig, um den durchaus qualifizierten Fachkräften die Arbeit zu ermöglichen. Stattdessen führt die aktuelle Situation zur zusätzlichen Verknappung, obwohl schon ein akuter Fachkräftemangel besteht. 

Deshalb muss eine bundesweite Angleichung der fachlichen Anforderungen an Sprachförderkräfte über die KMK erfolgen. Unter anderem aus dem Bedarf der Sprachförderung ergibt sich die Notwendigkeit multiprofessioneller Teams in Kindertageseinrichtungen. Die Sprachförderkräfte sind dabei ein Schritt in diese Richtung. Ziel muss es sein, umfassende multiprofessionelle Teams zu bilden, um den wachsenden Anforderungen in Kindertageseinrichtungen gerecht zu werden. 

Sinnvoll, machbar und realisierbar – Vollakademisierung der Logopädie jetzt 

Ein Großteil der qualifizierten Sprachförderkräfte sind Logopäd*innen und Sprachtherapeut*innen. Nach aktuell geltendem Berufsgesetz ist die Zulassung zu den sogenannten additiven Studiengängen im Bereich der Logopädie nur mit dem Abschluss einer logopädischen Berufsfachschule möglich. Konkret bedeutet dies, dass zusätzlich zu den drei Jahren Ausbildung noch je nach Studiengang und Modell (Teilzeit-/Vollzeit) weitere 1,5 bis 3,5 Jahre Studium hinzukommen.  

Eine seit 2009 bestehende Modellklausel (§ 11) im aus den 80er-Jahren stammenden „Gesetz über den Beruf des Logopäden“ (LogopG) erlaubt erstmals Modellstudiengänge mit einer direkten hochschulischen Ausbildung als staatlich anerkannte*r Logopäd*in. In 7 bis 8 Semestern erhalten die Absolvent*innen die Berechtigung, die Berufsbezeichnung Logopäd*in zu tragen. In den Jahren 2014-2020 erfolgten Evaluationen dieser Modellstudiengänge, die eindeutig belegten, dass aufgrund der gestiegenen Anforderungen die bestmögliche Patient*innenversorgung nur durch eine hochschulische Qualifikation der Therapeut*innen gewährleistet werden kann.  

Auch eine vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft (BL-AG) „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“ empfohlene Prüfung der Vollakademisierung der Logopädie ergab, dass die Akademisierung der Logopädie als machbar und notwendig angesehen wird (2. Evaluationsbericht des BMG vom 22.10.2021). Die Modellklausel lief allerdings nach bereits zweifacher Verlängerung am 31.12.2024 aus. Trotz der Stimmen aus den Berufsverbänden und auch von bspw. Gesundheitsminister Karl Lauterbach, die die Akademisierung befürworten, ist eine konkrete dauerhafte Lösung aktuell noch nicht in Sicht. Die endgültige Entscheidung wird seit Jahren vertagt. 

Deshalb fordern wir: 

  • dass sich die SPD-Bundestagsfraktion und das Bundesministerium für Gesundheit für die bereits angekündigte Vollakademisierung der Logopädie aktiv einsetzen und somit für eine akademische Erstqualifikation als grundständige Ausbildung; 
  • zum einen die Modellstudiengänge in reguläre Studiengänge zu überführen und zum anderen bundesweit die Logopädieausbildung in eine hochschulische Ausbildung umzuwandeln; 
  • dass geprüft werden soll, ob und wie die Akademisierung der Logopädie mit der Schaffung von Direktzugängen zu Therapieleistungen einhergehen kann, sodass zukünftig nicht immer eine ärztliche Verordnung nötig sein müsste; 
  • den vereinfachten Zugang und die Entbürokratisierung von Heilmitteln. 

Ziel muss es auch in der Logopädie sein, dem Fachkräftebedarf langfristig entgegenzuwirken und junge Menschen für die Therapieberufe zu gewinnen. Zu wenige entscheiden sich für das Berufsfeld Logopädie/Sprachtherapie, aber vor allem, wer es doch tut, verlässt die praktisch-therapeutische Arbeit nach wenigen Jahren. Das Ergebnis: Es wird immer schwieriger, die Versorgung und Unterstützung für die Menschen, die sie brauchen, abzusichern. Das betrifft auch die alltagsintegrierte Sprachbildung sowie zusätzliche therapeutische Angebote in Kitas. Die hochschulische Ausbildung eröffnet neue und weitere berufliche Perspektiven und wertet damit die therapeutischen Berufe auf. Außerdem besteht die langfristige Perspektive, dass dadurch die von der Krankenkasse gezahlten Sätze deutlich angehoben werden könnten. Von der Lehre über die therapeutische Arbeit mit Patient*innen bis hin zur Karriere in der Forschung erweitert die Vollakademisierung die Möglichkeiten beruflicher Entwicklung. Die bisherigen Praxisanteile der Ausbildung würden dabei aber nicht verloren gehen. Die hochschulische Ausbildung in den Therapieberufen umfasst sowohl fachpraktische als auch wissenschaftlich-fachliche Anteile.  

Im europäischen Vergleich ist Deutschland das einzige Land, in dem nebeneinander berufsfachschulisch und hochschulisch ausgebildet wird.  Bereits 2013 waren in 30 von 31 Ländern der Bachelor- bzw. Masterabschluss die Voraussetzung zur Berufsausübung in der Logopädie. Deutschland bildet bis heute die einzige Ausnahme.  

Wenn man genau hinschaut, hat auch in Deutschland der Übergang von einer berufsfachschulischen in die hochschulische Ausbildung schon längst begonnen: 90% der Bewerber*innen für eine Ausbildung verfügen über eine Hochschulzugangsberechtigung. 80% der Lehrenden an den Berufsfachschulen sind hochschulisch qualifiziert. 80% der Berufsfachschulen kooperieren bereits mit einer Hochschule. 57 Studiengänge gibt es allein im Bereich Logopädie/Sprachtherapie. Was aber fehlt, ist eine Perspektive. Eine Perspektive für die Modellstudiengänge und die Berufsfachschulen, eine Perspektive für die Bewerber*innen und Therapeut*innen, aber vor allem eine Perspektive für das Berufsfeld Logopädie/Sprachtherapie. Deshalb brauchen wir eine einheitlich gestaltete, ausschließlich hochschulische Qualifikation in der Logopädie – Vollakademisierung jetzt!