GS-7 Die konservative Forschungspolitik muss enden! Für eine Reform von Embryonenschutz- und Stammzellgesetz

Status:
Annahme

Als SPD stehen wir fest hinter Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit und hinter dem Versprechen des medizinischen Fortschritts, Heilung durch Forschung zu ermöglichen. Erhebliches Potenzial bietet dabei die Forschung an embryonalen Stammzellen. Im Gegensatz zu vielen anderen Industrienationen ist die deutsche Gesetzgebung hier jedoch von einem starren Konservatismus zugunsten des angeblich “ungeborenen Lebens” geprägt. Der Gewinnung embryonaler Stammzellen wird mit dem Strafrecht begegnet, die Freiheit der Wissenschaft wird eingeschränkt, aus Angst vor wissenschaftlichem Rückstand aber der Import von embryonalen Stammzellen in Ausnahmen erlaubt.

Wir wollen eine grundsätzliche Abkehr von dieser konservativen Wissenschaftspolitik und Fortschrittsfeindlichkeit, die sich beispielsweise im Embryonenschutzgesetz und dem Stammzellgesetz äußert. Sie führt zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der grundgesetzlich verankerten Wissenschaftsfreiheit, einer Kriminalisierung von Forscher:innen und einer Einschränkung von Therapiemöglichkeiten. Sie basiert auf den gleichen Annahmen wie die Kriminalisierung von abtreibenden Personen oder Ärzt:innen, die Abtreibungen anbieten. Deshalb gehören das Embryonenschutzgesetz und Stammzellgesetz in ihren Grundsätzen reformiert.  

  • Die grundsätzliche Legalisierung der Gewinnung von embryonalen Stammzellen bis zu 14 Tage nach der Befruchtung (in Anlehnung an bspw. die belgische Gesetzeslage) zu Forschungszwecken. Dies gilt mindestens für überzählige In-vitro-Embryonen, die ohnehin keine Chance mehr auf reproduktive Verwirklichung haben.
  • Eine solche Verwendung von Embryonen darf nur unter Einwilligung der Spender:innen des biologischen Materials erfolgen.
  • Eine Einzelfallprüfung bei älteren Embryonen durch das Robert-Koch-Institut (RKI) als zuständige Aufsichtsbehörde
  • Die Legalisierung von therapeutischem Klonen (nicht aber reproduktivem Klonen!) bei entsprechender Aufsicht und Lizenzierung durch das RKI, falls begründete Forschungsvorhaben mit überzähligen in-vitro-Embryonen nicht zu realisieren sind. Es gilt die oben aufgeführte zeitliche Beschränkung.

Forscher:innen sollen sich Gedanken darüber machen, wie sie zur Heilung von Menschen beitragen können, und nicht, wie sie vermeiden können, sich strafbar zu machen. Deshalb muss Deutschland endlich eine Abkehr von der konservativen Forschungspolitik der letzten Jahrzehnte vollziehen! 

Begründung:

Seit ihrer Entdeckung 1981 in Mäusen und 1998 in Menschen sind embryonale Stammzellen Gegenstand eines Streit zwischen Lebensschützer:innen auf der einen und Wissenschaftler:innen auf der anderen Seite. Der Konflikt entlädt sich an ähnlich grundsätzlichen Fragen wie in der Debatte um Abtreibungen: Auf der einen Seite wird die Würde des ungeborenen Lebens ab dem Tag der Befruchtung beschworen, auf der anderen Seite wird die Selbstbestimmung der gebärenden Person (beim Thema Abtreibungen) bzw. die im Grundgesetz verankerte Freiheit von Forschung und Wissenschaft geltend gemacht. Zusätzlich zum Verfassungsgut der Wissenschaftsfreiheit kommen Nützlichkeitsargumente hinzu, die zurecht auf das enorme Potential humaner embryonaler Stammzellen in der medizinischen Grundlagenforschung und in der therapeutischen Anwendung verweisen. Das Feld möglicher Anwendungsbereiche reicht von der Heilung chronischer Wunden bis zu Parkinson oder dem regenerativen Einsatz nach Herzinfarkten. Stammzellen sind seit ihrer Entdeckung zu einem zentralen Gegenstand der regenerativen Medizin geworden. Diese Potential ist noch lange nicht ausgeschöpft und benötigt, insbesondere hinsichtlich der klinischen Anwendung, weiterhin intensive Forschung. 

Hintergrund der ethischen Debatte ist, dass humane embryonale Stammzellen aus der inneren Zellmasse von Embryonen (ca. sechs Tage nach der Befruchtung) während der frühen Embryonalentwicklung gewonnen werden. In vielen Fällen geht das mit der Zerstörung des Embryos einher.   

 

Rechtliche Situation in Deutschland 

In Deutschland ergibt sich die rechtliche Situation der Stammzellforschung vor allem aus dem Embryonenschutzgesetz und dem Stammzellgesetz. Das Embryonenschutzgesetz stammt historisch aus dem Kontext der künstlichen Befruchtung und verbietet strafrechtlich die fremdnützige Gewinnung von Embryonen. Sprich: Embryonen dürfen im Labor lediglich erzeugt werden, um sie zur künstlichen Befruchtung einzusetzen. Auch übrig gebliebene, nicht verwendete befruchtete Eizellen, die bei der künstlichen Befruchtung nahezu immer anfallen, dürfen nicht für andere Zwecke wie beispielsweise die Forschung verwendet werden. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der Embryo ab dem Zeitpunkt der Befruchtung als menschliches Leben zu betrachten ist und dementsprechend seine Menschenwürde geschützt werden muss. Das Embryonenschutzgesetz verbietet ebenfalls das Klonen, sowohl das regenerative Klonen (zur Klonung des Individuums) als auch das therapeutische Klonen (zu Forschungszwecken wie beispielsweise zur Gewinnung von Stammzellen, nicht aber zur Klonung des Individuums). Auch das Verbot der Eizellenspende, der Embryonenspende und der Leihmutterschaft sind im Embryonenschutzgesetz verankert. 

Da das Embryonenschutzgesetz einige Unklarheiten lässt, ob nur die Gewinnung von embryonalen Stammzellen oder auch der Import embryonaler Stammzellen aus dem Ausland verboten ist, hat der Bundestag 2002 das Stammzellgesetz verabschiedet. Das Gesetz verbietet strafrechtlich die Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen, lässt aber eine Ausnahme zu: Embryonale Stammzellen, die vor einem Stichtag gewonnen worden sind, dürfen importiert und zu Forschungszwecken verwendet werden. Diese Regelung stellt einen Kompromiss dar, um die deutsche Stammzellforschung nicht vollständig trockenzulegen, aber gleichzeitig zu verhindern, dass der deutsche “Markt” im Ausland Anreize zur Gewinnung embryonaler Stammzellen schafft. Der Stichtag war ursprünglich der 1. Januar 2002, lag also vor dem Inkrafttreten des Gesetzes, musste 2008 jedoch auf den 1. März 2007 verschoben werden, da sich der Forschungsstand inzwischen erheblich weiterentwickelt hatte, deutsche Wissenschaftler:innen darauf jedoch keinen Zugriff hatten. Völlig offensichtlich ist: Das Verschieben des Stichtags ist keine Lösung des zugrundeliegenden Problems. Das Problem wird lediglich aufgeschoben, um eine erneute Grundsatzdebatte zu vermeiden. Angesichts der wissenschaftlichen Dynamik kann eine solchen Fristenlösung nicht dauerhaft bestehen, sondern muss zwangsläufig in ein nahezu regelmäßiges Verschieben der Frist münden, was die eigentliche Zielsetzung des Gesetzes völlig konterkariert. 

 

Der internationale Vergleich zeigt Deutschlands konservative Gesetzeslage 

Deutschland hat für einen westlichen Staat eine auffällig restriktive Gesetzeslage. Der internationale Rechtsvergleich zeigt, dass die Tendenz zumindest zu einer Zulassung von überzähligen Embryonen aus der künstlichen Befruchtung für die Stammzellforschung geht. Belgien, Dänemark und England machen die Verwendung zu Forschungszwecken beispielsweise vom Alter des Embryos abhängig. Bis zu 14 Tage nach der Befruchtung darf dies erfolgen. Damit ist die Gewinnung embryonaler Stammzellen möglich, aber die künstliche Entwicklung des Embryos wird stark limitiert. Die Frage, ob Embryonen auch künstlich erzeugt werden dürfen, um dann aus ihnen Stammzellen zu Forschungs- oder therapeutischen Zwecken gewinnen zu können (sogenanntes “therapeutisches Klonen”), ist umstritten. Während das Verbot von reproduktivem Klonen (also das künstliche Zeugen genetisch identischer Individuen) weitestgehend Konsens ist, lassen einige Länder das Forschungsklonen im regulierten Rahmen zu. Großbritannien hat hierbei die freizügigste Gesetzgebung, beschränkt die Forschung jedoch auf einen Zeitraum bis 14 Tage nach der Befruchtung. Entsprechende Forschungsvorhaben müssen außerdem von der zuständigen Aufsichtsbehörde lizenziert werden. In Belgien dürfen Embryonen zu Forschungszwecken erzeugt werden, wenn die Stammzellen aus überzähligen Embryonen dazu nicht ausreichen. 

 Im internationalen Vergleich zeigt sich daher, dass eine progressive Forschungspolitik und Gesetzeslage nicht nur möglich, sondern vielerorts schon Realität sind. Horrorszenarien von geklonten Menschen oder Designerbabys sind hingegen nicht eingetreten.  

 

Für uns Sozialdemokrat:innen kann die gegenwärtige Gesetzgebung aus mehreren Gründen nicht befriedigend sein:  

  1. Im Konflikt zwischen sogenannten “Lebensschützer:innen” und abtreibenden Personen haben wir uns immer mit letzteren solidarisiert. Die zugrunde liegende Prämisse ist, dass Embryonen nicht bereits ab dem Moment der Befruchtung die gleiche menschliche Würde innehaben wie geborene Personen und dass daher die Selbstbestimmungsrechte gebärender Personen für uns schwerer wiegen als die Rechte des Embryos. Folgerichtig muss die Abwägung bei der Stammzellforschung die Freiheit von Forschung und Wissenschaft über die Rechte eines Embryos in seiner sehr frühen Entwicklungsphase stellen. Schließlich hängt an der Forschungsfreiheit nicht nur Forschung als Selbstzweck, sondern therapeutisches Potential für viele erkrankte Menschen. Ihre Heilungsaussichten mit dem Verweis auf die Rechte “ungeborenen Lebens” zu verschlechtern, kann mit unseres Grundsätzen nicht vereinbar sein.
  2. Das Embryonenschutzgesetz ist ein konservatives Gesamtpaket, dass die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen beispielsweise durch das Verbot der Eizellenspende massiv beeinträchtigt. Dieses Paket muss aufgeschnürt und grundlegend reformiert werden.
  3. Bei der künstlichen Befruchtung fallen ohnehin befruchtete Eizellen an, die nicht zur Befruchtung eingesetzt werden.
  4. Die aktuelle Gesetzgebung ist in sich nicht schlüssig: Zwar wird einerseits die Gewinnung von embryonalen Stammzellen verboten, andererseits aber das Einfuhrverbot unter bestimmten Bedingungen ausgesetzt. Dieser Widerspruch verdeutlicht, dass es sich um einen halbgaren Kompromiss handelt.
  5. Die Widersprüchlichkeit wird noch dadurch verstärkt, dass Deutschland auf europäischer Ebene das Forschungsprogramm Horizon 2020 mitfinanziert, das unter anderem auch die Forschung an embryonalen Stammzellen fördert, wenn die nationale Gesetzgebung dies erlaubt. Deutschland verbietet zwar die eigene Stammzellforschung, finanziert in anderen EU-Mitgliedstaaten aber selbige.
  6. Die Gesetzgebung führt zur Kriminalisierung von Wissenschaftler:innen. Nach Embryonenschutzgesetz drohe für die “missbräuchliche Verwendung” von Embryonen bis zu drei Jahre Haft, für das Klonen (regeneratives wie therapeutisches) sogar bis zu 5 Jahre Haft. Selbiges gilt für den Versuch. Theoretisch würde sich auch ein*e ausländische*r Wissenschaftler:in strafbar machen, der sich beispielsweise in Deutschland bei einer Konferenz aufhält und währenddessen Anweisungen an sein Heimatlabor zur Gewinnung embryonaler Stammzellen erteilt. Forscher:innen, die mit embryonalen Stammzellen Krankheiten bekämpfen wollen, strafrechtlich zu verfolgen und im schlimmsten Fall ins Gefängnis zu stecken, ist völlig unverhältnismäßig, insbesondere wenn man bedenkt, dass Deutschland wie oben dargestellt selbst die Gewinnung embryonaler Stammzellen in anderen Ländern mitfinanziert. Verstöße sollten daher zukünftig lediglich als Ordnungswidrigkeiten behandelt werden. 
Empfehlung der Antragskommission:
Überweisen an: Bezirksvorstand
Version der Antragskommission:

Die Antragskommission schlägt vor, dass sich der Bezirksvorstand (gemeinsam mit den Jusos, der ASG und der Bildungskommission) vertieft mit der Thematik auseinandersetzt und unterschiedliche Veranstaltungsformate entwickelt. Ziel ist es, dass auf dem Bezirksparteitag 2023 eine fundierte Position zur Abstimmung kommt.

Beschluss: Die konservative Forschungspolitik muss enden! Für eine Reform von Embryonenschutz- und Stammzellgesetz
Text des Beschlusses:

Die Antragskommission schlägt vor, dass sich der Bezirksvorstand (gemeinsam mit den Jusos, der ASG und der Bildungskommission) vertieft mit der Thematik auseinandersetzt und unterschiedliche Veranstaltungsformate entwickelt. Ziel ist es, dass auf dem Bezirksparteitag 2023 eine fundierte Position zur Abstimmung kommt.

Beschluss-PDF:
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