Die internationale Ordnung befindet sich im Umbruch. Chinas Aufstieg als wirtschaftliche und politische Macht, die USA mit einem Präsidenten Donald Trump, Russland mit Putin und zahlreiche Regionalmächte, die nach Einfluss streben. Diese Entwicklung birgt Chancen, Gefahren und vor allem zahlreiche Herausforderungen für Deutschland und die Europäische Union. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die Konflikte im Nahen Osten, im Irak, in Syrien und einem großen Teil der arabischen Halbinsel und auf die Situation in der Ukraine. Hinzu kommen Risiken die von Failed States ausgehen, Terrorismus und die Ausbreitung des organisierten Verbrechens. Der fortschreitende Klimawandel, Umweltzerstörung und häufig damit zusammen hängende Migrationsbewegungen bergen Risiken für Frieden und Sicherheit. Und nicht zuletzt sorgt auch die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen bei vielen Menschen für Verunsicherung.
Die Aufkündigung des INF-Abkommens ist ein schwerer Schlag für die internationale Rüstungskontrollpolitik und die bisherige Sicherheitsarchitektur in der Welt. Bereits seit einigen Jahren fallen Rüstungskontrollverträge, von der Öffentlichkeit oft wenig beachtet, wie Dominosteine. Dies deutet auf eine grundsätzliche Problematik hin: Immer mehr Staaten rüsten auf und wir haben keine ausreichenden internationalen Regelungen, um Rüstungswettläufe zu verhindern. Vertragsgestützte Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung müssen wieder in den Mittelpunkt unserer Politik gerückt werden. Wir werden uns deshalb u.a. gegen eine Stationierung von neuen Mittelstreckenraketen in Europa einsetzen und für eine deutlich stärkere Beschränkung von Rüstungsexporte aus Deutschland und der Europäischen Union eintreten.
Deutschland hat eine Verantwortung in der Welt. Gerade vor dem Hintergrund der Geschichte und unserer eigenen Erfahrungen tragen wir eine besondere Verantwortung für den Frieden, für Demokratie und Menschenrechte in der Welt, denen wir unsere Freiheit und unseren Wohlstand verdanken. Es ist deshalb richtig, dass wir uns in Kapitel 12 des Koalitionsvertrages „Deutschlands Verantwortung für Frieden, Freiheit und Sicherheit in der Welt“ klar zu dieser Verantwortung bekennen.
Deutschland wird diese Aufgabe jedoch nicht alleine meistern können. Die Antwort, um diese Verantwortung gemeinsam zu tragen ist Europa. Europa ist die friedlichste Region der Welt. Als Friedensmacht wollen wir Europa in der Welt positionieren. Die Europäische Union muss “weltpolitikfähig” werden, um aktiv für ihre Werte und ein friedliches Miteinander als Akteur auf der Weltbühne einstehen zu können. Deshalb wollen wir die EU als Akteur in der Außenpolitik stärken: Als Union von 27 (28) Staaten muss sie zum Vorreiter einer regelbasierten Ordnung in der Welt werden.
Gerade im Sicherheitsbereich ist das Beharren auf nationaler Souveränität und auf nationalen Egoismen besonders stark ausgeprägt. Gerade in diesem Bereich braucht es besonders viel Vertrauen, um nationale Kompetenzen und Fähigkeiten gemeinsam anzugehen. Ohnehin scheint eine Rückbesinnung auf das „Nationale“ in (vermeintlichen) Krisenzeiten wieder verstärkt Konjunktur zu haben. Die heutigen Herausforderungen sind jedoch nur multilateral durch globale Kooperation zu lösen. Dafür müssen wir die UNO, G 8, G 20, die NATO, die OSZE, die EU, den Europarat, aber auch die Weltbank und die WTO als Institutionen multilateraler Kooperation stärken.
In der EU müssen wir dafür folgendes leisten:
Die Stärkung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit dem klaren Ziel einer Europäische Verteidigungsunion stärkt die EU von innen. Kooperation in möglichst vielen Bereichen, die essentiell für die Sicherheit eines jeden einzelnen Mitgliedsstaates sind, wird die Notwendigkeit der friedlichen Zusammenarbeit weiter erhöhen. Dazu gehört eine engere Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten in der Rüstungsindustrie. Nicht jede Armee muss in Zukunft alles können; die Zeit der nationalen Universalarmeen in Europa ist zu Ende. Bereits 2004 war die Europäische Verteidigungsagentur (EVA) deshalb mit der Aufgabe betraut worden „Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors“ zu fördern. 27 nationale Armeen mit zusammen rund zwei Millionen Soldatinnen und Soldaten sind nicht mehr zeitgemäß. Die nationale Fragmentierung beeinträchtigt mit unnötigen Doppelungen im Verteidigungssektor die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte und verursacht zudem vermeidbare jährliche Kosten, die auf rund 21 Milliarden Euro geschätzt werden. Es ist deshalb notwendig Kooperationsprojekte zur gemeinsamen Entwicklung von Verteidigungsfähigkeiten im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) weiter zu fördern. Wenn Ressourcen gebündelt werden, Fähigkeiten koordiniert und redundante Waffen und Ausrüstungssysteme überprüft werden, könnte bei gleicher oder erhöhter Schlagkraft viel Geld eingespart werden. Ein Teil davon wäre nutzbar, um moderne Ausrüstung zu beschaffen oder um zivile, politische und diplomatische Maßnahmen zu finanzieren.
Mit diesem Handlungsspielraum könnte die EU verstärkt gemeinsam auf Krisen- und Konfliktprävention setzen. Die schnelle militärische Krisenreaktion muss ebenso verbessert werden, wie der Ausbau der zivilen Fähigkeiten und die Planung und Durchführung von Missionen.
Militärische Missionen sollten ganz klar das letzte Mittel sein und sind nur dann eine Option, wenn akut humanitären Katastrophen zu begegnen ist. Jegliche militärische Intervention muss völkerrechtlich legitimiert sein, darf also ausschließlich auf Basis des Kapitels VII oder des Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen (UN) erfolgen. Der Kosovo-Krieg muss hier für die Zukunft eine absolute Ausnahme bleiben. Deutschland sollte sich künftig nur an Missionen beteiligen, wenn diese durch ein völkerrechtlich bindendes Mandat der Vereinten Nationen legitimiert sind und der Deutsche Bundestag zugestimmt hat. Alle diplomatischen und politischen Mittel der friedlichen Streitbeilegung sind bis zur ultima-ratio auszuschöpfen.
Dringend notwendig ist eine Neuausrichtung der Europäischen Nachbarschaftspolitik gegenüber Nordafrika und dem Nahen Osten. Schwerpunkte müssen dabei auf der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Bürgergesellschaft liegen. Und die EU muss ihren Agrarmarkt für Produkte aus Nordafrika und Nahost weiter öffnen.
Nicht zuletzt gehört eine verantwortungsvolle Klima- und Entwicklungspolitik zu den notwendigen Weichenstellungen für eine Friedens- und Sicherheitspolitik.
Um stärker mit einer Stimme zu sprechen soll der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) weiter ausgebaut und gestärkt werden. Wir wollen, dass Europa in der Welt durch einen europäischen Außenminister / eine Außenministerin vertreten wird. Das Amt der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik soll dahingehend fortentwickelt werden. Bei außenpolitischen Entscheidungen wollen wir das Einstimmigkeitsprizip abschaffen, um der gemeinsamen europäischen Außenpolitik mehr Handlungsspielraum zu gewähren. Der Rat der europäischen Außenministerinnen und Außenminister soll über die meisten Fragen mit Mehrheit entscheiden können. Es muss ein Ende haben, dass Mitgliedsstaaten sich auseinanderdividieren lassen und sich Europa damit außenpolitisch lähmt. Gleichzeitig sollte die EU auf einen gemeinsamen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) hinarbeiten. Die deutsche Mitgliedschaft im VN-Sicherheitsrat 2019 und 2020 sollen wir als europäische Mitgliedschaft gestalten.
Friedensstiftung im europäischen Kontext muss das zentralen Ziel deutscher Außenpolitik sein. In einer sich rasant verändernden Weltordnung lässt sich diese Herausforderung nicht in nationalen Alleingängen lösen, sondern ausschließlich in zwischenstaatlichen Kooperationsnetzwerken multilateraler Politik. Die immer engere Einbindung in das dichte Netz transnationaler Abhängigkeiten innerhalb der Europäischen Union ermöglicht letztlich erst nationale Unabhängigkeit. Sie erweitert die außenpolitischen Handlungsoptionen Deutschlands um den europäischen Mehrwert. Daran müssen wir festhalten und eine gemeinsame europäische Außenpolitik proaktiv und selbstbewusst fortentwickeln.
Nicht zuletzt die Prinzipien sozialdemokratisch geprägter Entspannungspolitik haben die deutschen und europäischen Erfahrungen im Kalten Krieg entscheidend mit geprägt. Die Isolation von Gegenspielern löst keine Konflikte. Sie sind nur im Aufbau von Sicherheitsstrukturen und durch die Pflege vertrauensbildender multilateraler Dialogkanäle überwindbar. Diese Erfahrungen sind keineswegs überholt und sollten für eine neue sozialdemokratische Friedenspolitik als Grundlage dienen.