I- Das Versöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia muss neu verhandelt werden! - Wir müssen unsere historische und juristische Schuld anerkennen!

Deshalb fordern wir die SPD auf, sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass die Gemeinsame Erklärung „Vereint im Gedenken an unsere koloniale Vergangenheit, vereint im Willen zur Versöhnung, vereint in unserer Vision für die Zukunft“ zwischen Namibia und Deutschland unter Beteiligung der betroffenen Bevölkerungsgruppen neu verhandelt wird. Dieser Prozess muss auf Augenhöhe stattfinden, und die Entscheidungsgewalt muss bei den Opfern bzw. ihren Nachkommen liegen. Darüber hinaus setzt sie sich für Verhandlungen über Reparationszahlungen an die Betroffenen ein. 

Begründung:

Bis heute zu oft übersehen: Deutschlands Kolonialgeschichte 

In der verbreiteten öffentlichen Wahrnehmung wurde die deutsche Kolonialgeschichte lange Zeit heruntergespielt. Hauptgrund dafür war, dass Deutschlands Rolle als Kolonialmacht im Jahr 1918 mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg endete und somit kürzer dauerte als die Kolonialherrschaft anderer europäischer Staaten. Der Verweis auf die bloße Zeitspanne kann jedoch weder die Beteiligung Deutschlands am europäischen Kolonialismus und am sogenannten „Wettlauf um Afrika“ in Abrede stellen, noch die im Rahmen dieses Unrechtsregimes verübten Verbrechen und bis heute anhaltenden Konsequenzen relativieren. Zudem wurde die koloniale Eroberung lange durch rassistische Ideologien vorbereitet, und Versuche, die Verbrechen der Kolonialzeit zu beschönigen, endeten erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Bis 1914 waren die deutschen Kolonien, gemessen an der Fläche, die drittgrößten nach den britischen und französischen. Auf dem afrikanischen Kontinent nahm Deutschland die Gebiete Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Burundi, Ruanda), Togo und Kamerun einseitig in Besitz und deklarierte die Territorien als sogenannte „Schutzgebiete“. 

Das Deutsche Reich eignete sich das heutige Namibia von 1884 bis 1918 gewaltsam als Kolonie an. Im sogenannten Deutsch-Südwestafrika raubten die Deutschen der einheimischen Bevölkerung Land und Vieh. Durch den Diebstahl von Weideland und Wasserstellen entzog die Kolonialmacht der einheimischen Bevölkerung, die vor allem von der Viehwirtschaft abhängig war, die Existenzgrundlage. Geschützt durch kaiserliche „Schutztruppen“ betrieben die deutschen Siedler*innen eine rassistisch begründete Ausbeutungs- und Unterdrückungspolitik. Gegen dieses Unrecht gab es keine Möglichkeit der juristischen Gegenwehr, sodass die Bevölkerungsgruppen der Ovaherero und der Nama bewaffneten Widerstand leisteten. Zwischen 1904 und 1908 befahl daraufhin der Kommandeur der deutschen Schutztruppen, Lothar von Trotha, den Völkermord an beiden Bevölkerungsgruppen. Nach der Flucht der Ovaherero in die Omaheke-Wüste ließ von Trotha die Wüste abriegeln und die Ovaherero gezielt verdursten. Überlebende wurden in Konzentrationslager verschleppt, wo viele an Hunger, Kälte und Zwangsarbeit starben. Schätzungen zufolge wurden 80 Prozent der Ovaherero und 50 Prozent der Nama getötet. Gleichzeitig förderte der Kolonialstaat – im Gegensatz zu anderen deutschen Kolonien – die Ansiedlung weißer Deutscher. Obwohl in Deutschland eine stark imperialistische und rassistische Stimmung herrschte, waren diese Verbrechen auch damals keineswegs selbstverständlich. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es Kritik am Kolonialismus, und es wäre allen Verantwortlichen möglich gewesen, das Unrecht klar als solches zu erkennen. Der Völkermord an den Ovaherero und Nama wurde bereits von Zeitgenoss*innen als solcher erkannt und verurteilt. Das damalige europäische und deutsche Kolonialrecht basierte auf rassistischen und pseudowissenschaftlichen Grundlagen, die diese Verbrechen erst möglich machten. Daher kann es keinen legitimen rechtlichen Bezug auf dieses Recht geben. Rechtsstaatliche Prinzipien wurden auch nach damaligen Maßstäben eklatant verletzt. Die Schuld des deutschen Staates steht aus heutiger wie aus damaliger Sicht außer Frage. 

Die Kolonialisierung wirkt sich bis in die Gegenwart aus! 

Die Folgen der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia sind nicht nur historischer Natur, sondern prägen bis heute das Leben vieler Namibier*innen, insbesondere der Ovaherero und Nama. Die rassistische Landverteilung, die während der Kolonialzeit durchgesetzt wurde, hat zu einer wirtschaftlichen Ungleichheit geführt, die bis heute anhält. Noch immer gehören rund 70 Prozent des privaten Landes in Namibia den Nachfahren der europäischen Siedler*innen, obwohl sie nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung ausmachen. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Nachfahren der indigenen Bevölkerung, die in vielen Fällen enteignet und vertrieben wurden und heute in Armut leben. Die traditionelle, von Viehzucht und Ackerbau abhängige Lebensweise der Ovaherero und Nama wurde durch großflächige Landnahme und die Einführung eines kolonialen Agrarsystems zerstört. Die großen Farmen der weißen Siedler*innen haben die zuvor von den Ovaherero und Nama genutzten Weideflächen und Wasserquellen blockiert und deren ökonomische Basis dauerhaft zerstört. 

Diese Landverteilung hat bis heute gravierende soziale und wirtschaftliche Folgen. Die meisten Menschen, die in ländlichen Gebieten leben, haben kaum Zugang zu fruchtbarem Land und sind oft auf Subsistenzwirtschaft angewiesen. Viele Nachkommen der Kolonialopfer sind gezwungen, in die Städte zu ziehen, wo sie oft unter prekären Bedingungen leben und schlecht bezahlte Jobs haben. Die ungleiche Landverteilung behindert nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung dieser Bevölkerungsgruppen, sondern auch ihre gesellschaftliche Teilhabe und politische Mitsprache. 

Gleichzeitig besteht bis heute ein struktureller Rassismus, der auf den Grundlagen der Kolonialzeit beruht. Die weiße Minderheit profitiert nach wie vor von ungleichen wirtschaftlichen Machtverhältnissen, während viele Ovaherero und Nama um die Anerkennung ihrer Rechte kämpfen. Auch die psychischen und emotionalen Traumata, die durch die Kolonialzeit und den Völkermord verursacht wurden, sind Teil dieses fortwirkenden Erbes. Viele Nachfahren der Opfer kämpfen weiterhin um Gerechtigkeit und Anerkennung ihrer Geschichte, während sie tagtäglich mit den sozialen und wirtschaftlichen Benachteiligungen konfrontiert sind, die aus dieser Geschichte resultieren. 

Die bis heute bestehenden Ungerechtigkeiten sind nicht nur ein lokales, sondern auch ein globales Problem, das im Kontext internationaler Beziehungen und Gerechtigkeit aufgearbeitet werden muss. Nur durch eine vollständige Anerkennung der kolonialen Verbrechen und eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit deren Nachwirkungen kann es gelingen, die kolonialen Strukturen, die bis heute das Leben vieler Namibier*innen bestimmen, zu überwinden. 

Das Versöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia 

Von 2015 bis 2021 verhandelten die Regierungen Deutschlands und Namibias über ein Versöhnungsabkommen, das die dunkle Vergangenheit der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia anerkennen und versöhnen soll. Das Abkommen besteht aus mehreren Elementen. Zum einen sieht es eine offizielle Entschuldigung Deutschlands für die Verbrechen und das Leid während der Kolonialherrschaft vor. Deutschland bekennt sich zu seiner historischen Verantwortung für die Gräueltaten und drückt sein tiefes Bedauern aus. Darüber hinaus wird Deutschland finanzielle Unterstützung in Höhe von 1,1 Milliarden Euro für Entwicklungs- und Wiederaufbauprojekte in den vom Völkermord betroffenen Gemeinden in Namibia bereitstellen. Dieser Fonds soll dazu beitragen, die soziale und wirtschaftliche Situation der Nachkommen der Opfer zu verbessern. 

Betroffene Bevölkerungsgruppen müssen einbezogen werden! 

Die von den deutschen Kolonialverbrechen am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen, die Ovaherero und Nama, waren nie an den Verhandlungen beteiligt und erhielten erst den endgültigen Vertragstext. Der Ausschluss der Ovaherero und Nama als Verhandlungspartner widerspricht nicht nur dem Völkerrecht, sondern auch einer Resolution des namibischen Parlaments aus dem Jahr 2006, die vorsieht, Verhandlungen zwischen den betroffenen Gemeinschaften und Deutschland zu ermöglichen, mit dem Ziel, eine „vollständige Entschädigung im Sinne des Völkerrechts“ auszuhandeln. Dazu müsste Deutschland den Völkermord an den Ovaherero und Nama nicht nur historisch, sondern auch rechtlich anerkennen. Diese Unterscheidung zwischen historischer und rechtlicher Anerkennung ist ein zentraler Kritikpunkt an der deutschen Haltung. 

Die historische Anerkennung bedeutet, dass Deutschland die Verbrechen anerkennt und sein Bedauern ausdrückt, ohne jedoch rechtliche Verpflichtungen einzugehen. Die rechtliche Anerkennung des Völkermordes würde Deutschland hingegen verpflichten, die Verantwortung für die begangenen Verbrechen anzuerkennen und angemessene Maßnahmen zur Wiedergutmachung zu ergreifen. 

Die Bundesregierung argumentiert, dass die Herero und Nama nach dem Kriegsvölkerrecht und dem humanitären Völkerrecht keinen völkerrechtlichen Schutz genießen konnten, weil sie zu den sogenannten „unzivilisierten Völkern“ gehörten. Mit dieser Interpretation reproduziert sie den Rassismus, der den Kolonialismus erst möglich gemacht hat. Demnach wäre die Ermordung der Ovaherero und Nama nach europäischem Kolonialrecht – und das wird hier angewendet – keine Rechtsverletzung gewesen. Darüber hinaus beruft sich die Bundesregierung darauf, dass die rechtliche Definition des Völkermordes, wie wir sie heute kennen, erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Verabschiedung der Völkermordkonvention der Vereinten Nationen im Jahr 1948 festgelegt wurde. Deshalb argumentiert die Bundesregierung, dass die heutigen völkerrechtlichen Normen nicht auf Verbrechen angewendet werden können, die vor dieser Konvention begangen wurden. Dies ist ein zentrales Element der deutschen Position. 

Nicht nur in Namibia gibt es massive Kritik an dem Abkommen; auch UN-Sonderberichterstatter*innen haben sich kritisch zu dem geplanten Abkommen zwischen Namibia und Deutschland geäußert. Wenn Deutschland das Unrecht seiner kolonialen Vergangenheit wirklich anerkennen will, kann dies nur gelingen, wenn die Betroffenen und ihre Stimmen in den Mittelpunkt des Prozesses gestellt werden. Deshalb muss das Abkommen neu verhandelt werden! 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme